Zum Weltfrauentag am 8. März: Geschichte der Frauen – erlesen und erlebt

Dieses Buch kann man in der Bücherei Biebertal ausleihen unter dem Zeichen Zba 74 Has. Der Titel kommt nicht von ungefähr, er zitiert die Geschichte von Dädalus und Ikarus. Dädalus konstruierte für sich und seinen Sohn Ikarus Flügel aus Federn, gebunden und mit Wachs befestigt. Dädalus warnte seinen Sohn, nicht zu hoch zur Sonne zu fliegen. Doch der Sohn war ungehorsam, das Wachs schmolz und er stürzte ab.

Ähnlich erging es Emily Kempin-Spyri, der ersten Juristin Europas, nebenbei eine Nichte von Johanna Spyri, deren Roman Heidi seit 1880 bis heute noch immer neu aufgelegt und regelmäßig verfilmt wird. Emilys Vater behandelte seine Tochter während deren Kindheit wie den ersehnten Sohn, nannte sie auch Emil. Als sie in die Pubertät kam, wurde sie von ihm in die typische weibliche Rolle gedrängt. Der Ehemann missfiel dem Vater, also verweigerte er die Mitgift. Geldsorgen waren ständige Begleiter der Ehe, wie kam man zu Geld? Der Ehemann erlebte einen Misserfolg nach dem anderen.

Nach dem 3. Kind entschloss sie sich, mit Unterstützung ihres Ehemanns, Jura zu studieren. Obwohl sie einen Abschluss “Summa cum laude” und sogar den Doktortitel an der Universität Zürich schaffte, wurde ihr eine angemessene Stellung verwehrt. Die Familie wanderte daher in die USA aus, wo Dr. Kempin-Spyri dank einer Stiftung Frauen aus sozial schwachen Familien kostenlose Rechtsberatung gab. Ehemann und die beiden ältesten Kinder konnten in den USA nicht Fuß fassen und fuhren alleine zurück. Emily Kempin-Spyri folgte einige Zeit später mit der jüngsten Tochter – und gab damit auf, was sie sich erträumt hatte sowie ein regelmäßiges gutes Gehalt. Unterstützung erhielt sie von Frauen und fortschrittlichen Männern der Schweiz und Deutschlands.

1865: Der erste deutsche Frauenbildungsverein

Aber die Mehrfachbelastung von Familie, allen Versuchen, die Familie zu ernähren und den Anfeinungen, denen sie ausgesetzt war, führten zu einem Zusammenbruch. Einige Zeit war sie in einer Nervenheilanstalt in Berlin, später dann in Basel. Ihre Bitte nach Zürich verlegt zu werden, wo die Psychiatrie fortschrittlicher war und sie den Klinikleiter kannte, wurden von Ärzten und Institutionen torpediert. Emily Kempin-Spyri starb 1891 im Alter von 48 Jahren in der Nervenheilanstalt – immer noch kämpferisch – an Krebs. Das war der “Absturz” einer Frau, die es wagte, ihrer Zeit voraus zu sein, die Verbote des Vaters nicht zu befolgen.

Der Sturz des Ikarus, Gemälde von Franz Radziwill – Verwendung des Fotos mit freundlicher Genehmigung der Franz-Radziwill-Gesellschaft Dangast

Erlebte Geschichte:
Viele Frauen meiner Kindheit waren Kriegerwitwen, lebten aber mit einem Mann in “Wilder Ehe”, ein Begriff, der bis in die 1980er Jahre noch negativ behaftet war. Die Frau verlor durch dieses Zusammenleben ohne Trauschein nicht ihre Witwenrente. Vielleicht wollte sie aber auch ihre in der Kriegs- und Nachkriegszeit gewonnene Selbständigkeit nicht aufgeben, denn bis 1957 hatte der Ehemann die alleinige Entscheidungsgewalt darüber, ob die Frau
– ein eigenes Konto haben durfte,
– arbeiten gehen durfte,
– einen eigenen Wohnungsschlüssel besitzen durfte.
Die Gesetze nach dieser Zeit enthielten eine Menge Kompromisse. Der Frau war die Berufstätigkeit erlaubt, “sofern sie ihre Familie nicht vernachlässigt”. Wer beurteilte das?
In den 1960-1970 Jahren kamen Frauen in den Wechseljahren in unserem Dorf im Kreis Hanau oft in “Irrenanstalten”. Als Frauen waren sie ja nun “nichts mehr wert”, was viele von ihnen verinnerlicht hatten und darüber in Depressionen verfielen.
Bei der Änderung des Scheidungsrechtes unter einer SPD-geführten Regierung “Zerrüttungsprinzip statt Schuldfrage” beschwor die CDU/CSU den Weltuntergang herauf.*)
Als ich nach dem Abitur im Schwab-Versand am Fließband Pakete packte, bekamen wir Frauen 30 Pfennige weniger Lohn als die Männer. Begründet wurde es mit “der schwereren Arbeit” der Männer, was wir nicht sehen konnten. Solidarität herrschte darin, dass wir Aushilfen nicht schneller waren als die festangestellten Frauen, weil man sonst die Stückzahl, die für den gleichen Lohn zu leisten war, erhöht hätte.
Während meiner Berufstätigkeit in der beruflichen Bildung gab es immer noch alte Meister in Prüfungskommissionen, die Frauen nicht prüfen wollten, wenn sie den Beruf eigentlich als Männerberuf ansahen.
Wenn ich mit meinem ersten Freund zu seinen oder meinen Eltern fuhr, mussten wir in getrennten Zimmern schlafen. Sonst hätte ein böswilliger Nachbar unsere Eltern auf Grund des “Kuppelei-Paragraphen” (1973 abgeschafft) anzeigen können.
Noch bis Ende der 1980er Jahre hieß es im Lohnsteuerformular: Spalte 1 Haushaltungsvorstand Spalte 2 Ehefrau. Da ich damals Alleinverdienerin war, habe ich regelmäßig das Formular geändert.

Auch solche Demonstrationen gab es – auf dem Kirchentag

Auf den Paragraphen 218 will ich hier nicht eingehen. Er war aber für die Frauenbewegung sehr wichtig, der ich nicht angehörte. Aber ohne diese in den 70er Jahren so verspottete und angegriffene Bewegung, durch die viele Missstände aufgezeigt und über ihre Änderung diskutiert wurde, hätte es viele gesetzliche und tatsächliche Verbesserungen nicht gegeben (analog heutige Umweltbewegung). Das ist zwei Generationen her. Insgesamt gab es seitdem eine Vielzahl von positiven Veränderungen. Ich wünsche mir, dass sich junge Frauen dessen bewusst werden, dass ihre heutigen Rechte nicht selbstverständlich sind, sondern immer wieder neu verteidigt werden müssen.

Am Ende sind wir nie. Wenn auch die “Hausfrauenehe” seit 65 Jahren abgeschafft ist; die vielen misshandelten Frauen und Kinder zeigen, dass in den meist männlichen Köpfen immer noch die Verstellung herrscht, dass der Mann die Frau beherrschen darf. Aktuell fehlen mindestens 3.500 Frauenhaus-Plätze. Geld dafür bereit zu stellen wird in vielen Parlamenten als unwichtig angesehen.

*) 50 Jahre Gleichberechtigung eine Springprozession-Essay Dieser Artikel, herausgegeben von der Bundeszentrale für Politische Bildung, erschien bereits 2008, müsste also heute heißen “65 Jahre Gleichberechtigung,…”

Fotos Franz-radziwill-Gesellschaft, wikipedia und Bundeszentrale für politische Bildung

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