Zum Weltfrauentag am 8. März: Geschichte der Frauen – erlesen und erlebt

Dieses Buch kann man in der Bücherei Biebertal ausleihen unter dem Zeichen Zba 74 Has. Der Titel kommt nicht von ungefähr, er zitiert die Geschichte von Dädalus und Ikarus. Dädalus konstruierte für sich und seinen Sohn Ikarus Flügel aus Federn, gebunden und mit Wachs befestigt. Dädalus warnte seinen Sohn, nicht zu hoch zur Sonne zu fliegen. Doch der Sohn war ungehorsam, das Wachs schmolz und er stürzte ab.

Ähnlich erging es Emily Kempin-Spyri, der ersten Juristin Europas, nebenbei eine Nichte von Johanna Spyri, deren Roman Heidi seit 1880 bis heute noch immer neu aufgelegt und regelmäßig verfilmt wird. Emilys Vater behandelte seine Tochter während deren Kindheit wie den ersehnten Sohn, nannte sie auch Emil. Als sie in die Pubertät kam, wurde sie von ihm in die typische weibliche Rolle gedrängt. Der Ehemann missfiel dem Vater, also verweigerte er die Mitgift. Geldsorgen waren ständige Begleiter der Ehe, wie kam man zu Geld? Der Ehemann erlebte einen Misserfolg nach dem anderen.

Nach dem 3. Kind entschloss sie sich, mit Unterstützung ihres Ehemanns, Jura zu studieren. Obwohl sie einen Abschluss „Summa cum laude“ und sogar den Doktortitel an der Universität Zürich schaffte, wurde ihr eine angemessene Stellung verwehrt. Die Familie wanderte daher in die USA aus, wo Dr. Kempin-Spyri dank einer Stiftung Frauen aus sozial schwachen Familien kostenlose Rechtsberatung gab. Ehemann und die beiden ältesten Kinder konnten in den USA nicht Fuß fassen und fuhren alleine zurück. Emily Kempin-Spyri folgte einige Zeit später mit der jüngsten Tochter – und gab damit auf, was sie sich erträumt hatte sowie ein regelmäßiges gutes Gehalt. Unterstützung erhielt sie von Frauen und fortschrittlichen Männern der Schweiz und Deutschlands.

1865: Der erste deutsche Frauenbildungsverein

Aber die Mehrfachbelastung von Familie, allen Versuchen, die Familie zu ernähren und den Anfeinungen, denen sie ausgesetzt war, führten zu einem Zusammenbruch. Einige Zeit war sie in einer Nervenheilanstalt in Berlin, später dann in Basel. Ihre Bitte nach Zürich verlegt zu werden, wo die Psychiatrie fortschrittlicher war und sie den Klinikleiter kannte, wurden von Ärzten und Institutionen torpediert. Emily Kempin-Spyri starb 1891 im Alter von 48 Jahren in der Nervenheilanstalt – immer noch kämpferisch – an Krebs. Das war der „Absturz“ einer Frau, die es wagte, ihrer Zeit voraus zu sein, die Verbote des Vaters nicht zu befolgen.

Der Sturz des Ikarus, Gemälde von Franz Radziwill – Verwendung des Fotos mit freundlicher Genehmigung der Franz-Radziwill-Gesellschaft Dangast

Erlebte Geschichte:
Viele Frauen meiner Kindheit waren Kriegerwitwen, lebten aber mit einem Mann in „Wilder Ehe“, ein Begriff, der bis in die 1980er Jahre noch negativ behaftet war. Die Frau verlor durch dieses Zusammenleben ohne Trauschein nicht ihre Witwenrente. Vielleicht wollte sie aber auch ihre in der Kriegs- und Nachkriegszeit gewonnene Selbständigkeit nicht aufgeben, denn bis 1957 hatte der Ehemann die alleinige Entscheidungsgewalt darüber, ob die Frau
– ein eigenes Konto haben durfte,
– arbeiten gehen durfte,
– einen eigenen Wohnungsschlüssel besitzen durfte.
Die Gesetze nach dieser Zeit enthielten eine Menge Kompromisse. Der Frau war die Berufstätigkeit erlaubt, „sofern sie ihre Familie nicht vernachlässigt“. Wer beurteilte das?
In den 1960-1970 Jahren kamen Frauen in den Wechseljahren in unserem Dorf im Kreis Hanau oft in „Irrenanstalten“. Als Frauen waren sie ja nun „nichts mehr wert“, was viele von ihnen verinnerlicht hatten und darüber in Depressionen verfielen.
Bei der Änderung des Scheidungsrechtes unter einer SPD-geführten Regierung „Zerrüttungsprinzip statt Schuldfrage“ beschwor die CDU/CSU den Weltuntergang herauf.*)
Als ich nach dem Abitur im Schwab-Versand am Fließband Pakete packte, bekamen wir Frauen 30 Pfennige weniger Lohn als die Männer. Begründet wurde es mit „der schwereren Arbeit“ der Männer, was wir nicht sehen konnten. Solidarität herrschte darin, dass wir Aushilfen nicht schneller waren als die festangestellten Frauen, weil man sonst die Stückzahl, die für den gleichen Lohn zu leisten war, erhöht hätte.
Während meiner Berufstätigkeit in der beruflichen Bildung gab es immer noch alte Meister in Prüfungskommissionen, die Frauen nicht prüfen wollten, wenn sie den Beruf eigentlich als Männerberuf ansahen.
Wenn ich mit meinem ersten Freund zu seinen oder meinen Eltern fuhr, mussten wir in getrennten Zimmern schlafen. Sonst hätte ein böswilliger Nachbar unsere Eltern auf Grund des „Kuppelei-Paragraphen“ (1973 abgeschafft) anzeigen können.
Noch bis Ende der 1980er Jahre hieß es im Lohnsteuerformular: Spalte 1 Haushaltungsvorstand Spalte 2 Ehefrau. Da ich damals Alleinverdienerin war, habe ich regelmäßig das Formular geändert.

Auch solche Demonstrationen gab es – auf dem Kirchentag

Auf den Paragraphen 218 will ich hier nicht eingehen. Er war aber für die Frauenbewegung sehr wichtig, der ich nicht angehörte. Aber ohne diese in den 70er Jahren so verspottete und angegriffene Bewegung, durch die viele Missstände aufgezeigt und über ihre Änderung diskutiert wurde, hätte es viele gesetzliche und tatsächliche Verbesserungen nicht gegeben (analog heutige Umweltbewegung). Das ist zwei Generationen her. Insgesamt gab es seitdem eine Vielzahl von positiven Veränderungen. Ich wünsche mir, dass sich junge Frauen dessen bewusst werden, dass ihre heutigen Rechte nicht selbstverständlich sind, sondern immer wieder neu verteidigt werden müssen.

Am Ende sind wir nie. Wenn auch die „Hausfrauenehe“ seit 65 Jahren abgeschafft ist; die vielen misshandelten Frauen und Kinder zeigen, dass in den meist männlichen Köpfen immer noch die Verstellung herrscht, dass der Mann die Frau beherrschen darf. Aktuell fehlen mindestens 3.500 Frauenhaus-Plätze. Geld dafür bereit zu stellen wird in vielen Parlamenten als unwichtig angesehen.

*) 50 Jahre Gleichberechtigung eine Springprozession-Essay Dieser Artikel, herausgegeben von der Bundeszentrale für Politische Bildung, erschien bereits 2008, müsste also heute heißen „65 Jahre Gleichberechtigung,…“

Fotos Franz-radziwill-Gesellschaft, wikipedia und Bundeszentrale für politische Bildung

Palmsonntag – Brauchtum

Palmen in Bordighera, der Ort aus dem der Pabst die Palmen für Ostern erhält (Repro von eigenem Foto)

Vor 60 Jahren wurde ich im März 1963 am Palmsonntag konfirmiert. Nach einem langen, harten Winter konnten wir endlich um den 10.März die ersten Schneeglöckchen pflücken, die mit Buchs von der Gärtnersfrau zu kleinen Sträußchen gebunden wurden. Konfirmation am Palmsonntag war damals üblich. Mit der Konfirmation werden die jungen Menschen als vollwertige Mitglieder in die Kirchengemeinde aufgenommen. Der Termin hatte allerdings den Grund, dass das Schuljahr damals noch am 1. April begann (bis 1966). Alle, die nach acht Volksschuljahren eine Lehre begannen oder ins Berufsleben eintraten, sollten dies mit der Reife tun, die durch die Konfirmationsfeier erlangt wurde.

Woher kommt der Name Palmsonntag? Im Matthäus- und Johannes-Evangelium wird beschrieben, wie die Bevölkerung von Jerusalem Jesus, der auf einem Esel in die Stadt reitet, mit Palmzweigen willkommen heißt. Vermutlich haben sie damit vor ihm die Straße gekehrt oder die Zweige als Schutz gegen die Sonne über ihn gehalten. Seit dem Mittelalter wird dieser Einzug auch in manchen Gemeinden nachgespielt und ist ins Brauchtum eingegangen.
Ich habe mal geguckt, in welchen Gemeinden es eine Palmenstraße gibt. Das ist in Mainz und Düsseldorf der Fall, in Düsseldorf am Rande des Floraparks. In Köln gibt es den Palmenweg, der sich in einem Stadtviertel mit Baumnamen befindet. Daneben gegriffen hat dagegen jener westdeutsche Hotelier, der nach 1990 in Eisenach im Palmental ein Hotel errichtete und in guter Absicht die Gartenanlage um das Gebäude mit vielen Palmen bepflanzen ließ. Im nächsten Winter waren alle erfroren.
Warum heißt die Straße aber Palmental*)? Hier ist es feuchter als in der übrigen Umgebung, weshalb die Salweide sehr gut wächst. Und da in Deutschland eben nicht wie in Jerusalem Palmen gedeihen, hat man den Einzug von Jesus am Sonntag vor Ostern mit einheimischem Gehölz nachgespielt. Die Weidenkätzchen blühen meistens schon und selbst wenn nicht, so sind sie mit ihren zarten silbrigen Knospen sehr dekorativ und leicht zu bekommen. Auf Osterkarten noch vor dreißig Jahren sind sie fast immer abgebildet. Da die Weidenkätzchen als Ersatz für die Palmenzweige genommen wurden, so nannte man sie zur Osterzeit auch Palmkätzchen. Und die konnte man im Eisenacher Palmental reichlich schneiden.

Palmbuschen mit Weidenkätzchen und Buchsbaum
(Foto Münchner Kirchenzeitung)


Es war Sitte, vor allem in katholischen Gegenden, einen Palmstock oder Palmbuschen zu binden und ihn in einem Zimmerwinkel aufzuhängen. Er sollte auch gegen Krankheiten schützen. Was nach Aberglauben klingt, hat einen realen Hintergrund. Schneidet man die Weidenzweige in kleine Stücke und bereitet daraus einen Tee, so nimmt man Salicin auf, das in der Leber zu Salicylsäure umgebaut wird. Und das ist der wirksame Stoff, der Fieber senkt, Schweiss treibt, Schmerzen lindert und Keime abtötet. Den Namen hat die Salicylsäure (wesentlicher Bestandteil von Aspirin) von der Weide bekommen, die botanisch Salix heißt – und von der es viele Arten gibt. – Nebenbei: Auch das im Keltengarten angebaute und in der Gemarkung reichlich zu findende Mädesüß enthält diesen Stoff.

*)An der Straße Palmental liegt auch die Alte Mälzerei, die ich 2005 erstmals im Rahmen von Recherchen zur Zichorienwurzel aufsuchte. Heute beherbergt sie ein Jazzmuseum und einen Jazzclub. So ist auch das Lippmann+Rau-Musikarchiv – Internationales Archiv für Jazz und populäre Musik der Lippmann+Rau-Stiftung in Eisenach hier beheimatet.

Realität – eine Frage der Perspektive

Gastbeitrag von Dr. Lothar Drese

Die subjektive Konstruktion der Realität

Sitzen Sie gerade in Ruhe? Sind Sie sicher?
Ich behaupte, Sie rotieren gerade mit 1.670 km/h in einer Distanz von 6.300km um ein Zentrum.

Warum erleben Sie das anders?
Es dürfte zunächst merkwürdig erscheinen, aber die mit Ihnen verbundene Erdrotation haben Sie wahrscheinlich schnell entlarvt.
Gleichzeitig schweben Sie übrigens mit 108.000km/h in einer Distanz von 147 Mio. km um ein anderes Zentrum.

Diese vom vermeintlich ruhigen Sitzen abweichende Wahrnehmung hat man jedoch nur aus einem anderen Blickwinkel,
in diesem Fall liegt der fiktive, gedachte Betrachter außerhalb unseres Sonnensystems.

Anderes Bild: Eine Kamerasonde in Ihrer Blutbahn würde indes aufzeichnen, dass Sie ganz und gar nicht in Ruhe sitzen, sondern sie würde ein jede Sekunde zuckendes Etwas zeigen, selber in einem mit 4 km/h durch den gesamten Körper strömenden Fluss treiben und ständige Zusammenstöße mit merkwürdig aussehenden Gebilden verzeichnen.

Anderes Szenario: Auf einer rotierenden Schallplatte sitzt eine Mini-Version A von Ihnen. Mini-Version B liegt auf dem Tonabnehmer und eine weitere Version C hat es sich auf dem Dorn gemütlich gemacht und schaut an die Decke… welche Realitäten existieren in diesem Gefüge?

A erlebt eine sich um ihn drehende Umgebung und
B erfährt eine unter sich translatierende *) Welt, also einen Ortswechsel ohne Richtungsänderung.
Rein gar nichts passiert in der Realität von C.
Als Außenstehender sehen Sie einfach nur einen rotierenden Plattenteller, auf dem eben eine Mini-Version von Ihnen sitzt und sich mitdreht. Die erlebten Realitäten der anderen Versionen bleiben für Sie unentdeckt.

*) translatierend = sich verschieben, einen Ortswechsel ohne Veränderung der Form oder Richtung durchführen

Welche davon ist nun die wirkliche Realität?

Knobelfragen: Ist das vor Ihnen liegende weiterhin farbig, wenn Sie sich umdrehen?
Macht ein umfallender Baum im Wald ein Geräusch, wenn Sie nicht dort sind?

Was ist überhaupt Realität?
Die Physik erklärt dies mit der Wahl des Bezugssystems. Sie können sich also aussuchen, in welchem Bezug Sie Ereignisse betrachten und beschreiben.
Es gibt definitiv mehrere Möglichkeiten, das eine Bezugssystem existiert nicht und die eine Realität auch nicht.

Das, was für Sie gerade passiert, passiert anderen nicht. Es ist Ihre ganz persönliche Realität, nicht deren.
Sofern es keine Auswirkungen auf andere hat, werden sie nie von Ihrer Realität erfahren.
Realität ist nicht alles, was auf der Welt zu einem Zeitpunkt passiert.
Für jeden persönlich ist bedeutsam, was in der eigenen Wirklichkeit wirklich wirkt.
Das aber ist für jeden etwas anderes, abhängig von Vorerfahrungen, Erwartungen, Standpunkt, Perspektive, Fokus, Messverfahren, Bedeutungsgebung und prognostizierten Auswirkungen.

Jeder Mensch erlebt also seine eigene Realität.

Es ist alles eine Frage der Perspektive des Beobachters.

Besonders nachvollziehbar beantwortet der Physiker Erwin Schrödinger 1935 die Frage nach der Realität mit dem berühmten Gedankenexperiment „Schrödingers Katze“:
In einer verschlossenen Kiste sitzt eine Katze mit einem Giftköder. Ob die Katze den Köder gefressen hat und verstorben ist, wissen Sie nicht. Sie können sich erst sicher sein, wenn Sie nachschauen. Sie müssen die Realität also erleben! Solange Sie die Kiste nicht öffnen, erleben Sie eine Realität, in der die Katze gleichzeitig tot und lebendig ist. Sie werden die Realität in der Kiste niemals erfahren, solange sie verschlossen bleibt.

In welcher Form Sie nun Ihre eigene Realität wahrnehmen, wie Sie sie bewerten, hängt wiederum von Ihrer Auswahl des Bezugssystems ab.
Es ist Ihre Interpretationssache – also Ihre Wahrnehmung bzw. Ihre aktive Wahrgebung, da kein passiver Prozess!
Sie nehmen Ihr geführtes Leben als eine ständige Interpretation des Erlebten wahr, aufgrund von Erfahrungen und Wissen – es ist Ihre subjektive Sichtweise. Sie haben die Wahl, Erlebtes unterschiedlich zu betrachten und zu bewerten.

Oft geht es Menschen schlecht wegen der Interpretation ihrer Wahrnehmung, also ihren Gedanken und nicht wegen dem, was wirklich gerade passiert.
Ereignisse sind einfach Ereignisse und als solche wertfrei. Deren Bedeutung fügen wir aktiv hinzu. Interpretationssache eben.

Oft sind Menschen unzufrieden mit der „Realität“ bzw. dem, was sie betrachten und dessen Bewertung, sehen aber viele andere (positiven) Dinge derselben Realität nicht… nur weil sie ihre Aufmerksamkeit nicht darauf richten!

Oft haben Menschen in der Gegenwart Angst und Sorgen vor der Zukunft, also vor einer Zeit, die gar nicht existiert!
Und diese Zeit, die sie sich mit Ängsten und Sorgen kreiert haben, die ihnen die Gegenwart verdirbt, wird vielleicht niemals passieren.
Diese Sorgen und Ängste haben nichts mit dem tatsächlichen Jetzt zu tun. Das Jetzt passiert jetzt… und alle Probleme des Jetzt haben auch ihr Gutes, Sie müssen nur mal aus einer anderen Perspektive darauf sehen…

Fragen Sie sich: wozu mache ich das gerade? Wie stelle ich meinen Zustand jetzt gerade her? Welche Auswirkungen hat mein Tun? Für wen mache ich das? Woher könnte der Impuls zu meinem Erleben kommen? Welches Bedürfnis könnte dahinterstecken – bewusst oder auch unbewusst?

Fotos: Drese


Kommentar:

Hallo, Herr Drese,

obwohl ich Schrödingers Katze schon lange kenne, kam mir eben der Gedanke, dass das Gleichnis einen Denkfehler enthält. Es zielt nämlich lediglich auf die Sinneswahrnehmung „Sehen“ ab. 
Ich könnte nämlich auch die Sinneswahrnehmung „Tasten“ hinzu nehmen. Dann würde ich Bewegungen fühlen oder Wärme – oder das Gegenteil. Nehme ich die Sinneswahrnehmung „Riechen“ hinzu, so muss ich nur ein paar Tage warten und würde eine tote Katze riechen. Selbst mit dem „Hören“ käme ich weiter. Nur das „Schmecken“  will ich hier mal außer Acht lassen.

Eine gute Woche und herzliche Grüße,
Eveline Renell

Antwort:

Liebe Frau Renell, 

vielen Dank für Ihre Rückmeldung. Das „Nachsehen“ beschränkt sich jedoch nicht nur auf „Sehen“, sondern bezieht sich auf das grundsätzliche Öffnen der Kiste, um „Wahrzunehmen“, mit welchen Sinnen auch immer. 
Nehmen wir die Kiste als hermetisch und akustisch abgeriegelt, bleibt uns die dort herrschende Realität bei verschlossener Kiste für immer verborgen… 

Freundliche Grüße
Lothar Drese

Alles was bleibt…

Gastbeitrag von Dr. Lothar Drese, Wettenberg

Die Ur-Hoffnung ist tief in uns vergraben. Es ist keine akute Hoffnung, an die wir täglich denken, aber jeder hat sie in sich. Das ist auch gut so! Was wäre das für ein Leben, wenn wir sekündlich an all das Schlimme denken würden, was jederzeit passieren könnte?
Gleichzeitig ist aber auch absolut lebensnotwendig, dass diese Ur-Hoffnung überhaupt existiert.
Das Leben besteht aus einem kontinuierlichen Wechsel von Höhen und Tiefen… die Höhen genießen wir und die Tiefen meistern wir immer durch die Gewissheit der baldigen Besserung, während der selbstverständliche Alltag weiterläuft.

Doch was, wenn die Selbstverständlichkeit wegbricht?
Was, wenn wir ein schreckliches Unglück, eine Tragödie verarbeiten müssen?
Wie oft denken wir „Mir geschieht so etwas nicht!“ oder „Das würde ich niemals tun!“?
Aber das Leben ist unvorhersehbar und vor manchen Dingen ist niemand sicher.
Alles kann geschehen, auch Dinge, die man sich niemals hätte vorstellen können.
Und dann kann ein Tief des Lebens sehr ausgeprägt sein und vor allem auch ziemlich lang andauern.
Oben erwähnte Überwindung durch Gewissheit der baldigen Besserung meistern wir über kurze Zeiträume.
Vor allem betrifft dies zumeist Situationen, in denen wir steuernd agieren können.
Gravierende Schicksalsschläge versetzen unsere Seele jedoch zunächst in einen emotionalen Schockzustand, deren Rehabilitation zum einen über einen langen Zeitraum geschieht und dessen Ende zum anderen nicht absehbar ist. Hinzukommt, dass wir diese Gegebenheiten meist hinnehmen und aushalten müssen, ohne aktiv für Änderung sorgen zu können.

Unabhängig davon, was der Auslöser ist oder wie es dazu gekommen ist, muss ein einschneidendes Erlebnis verarbeitet werden. Hierzu führt Elisabeth Kübler-Ross fünf Phasen der Bewältigung auf
(die nicht immer und nicht immer in dieser Reihenfolge oder auch wiederholt wechselnd auftreten können):

Leugnen
Die Phase des Schocks! Emotionen brechen über einen herein, die man vorher in dieser Ausprägung nicht kannte. Alles erscheint wie in einem Nebel, in einer Trance… „Es kann nicht wahr sein!“

Zorn
Schuldige werden gesucht, da man sich nie allein verantwortlich fühlen möchte… „Wer hat mir das angetan?“… „Warum wird ausgerechnet mir das angetan?“

Verhandeln
Phase der Hilflosigkeit und Verzweiflung… vielleicht die schwierigste Zeit. Man fängt an, die Situation zu realisieren und möchte sie nun ändern. Das sich dann einstellende Gefühl bei seinen Versuchen der Steuerung keinen Einfluss zu haben, also das Gefühl der Ohnmacht, ist kaum zu ertragen… „Wie kann ich es wieder gut machen?“… „Wie komme ich hier heraus?“

Depression
Eingeständnis… „Ich kann es nicht abwenden.“… Man ergibt sich dem Zustand und beginnt auszuhalten. Häufig brechen in dieser Zeit depressive Phasen über Momente der Stärke hinein und erschüttern die innere Stabilität. Die Ur-Hoffnung wird nun auf ihre Robustheit überprüft und es kostet unglaublich viel Energie, diesen Verlauf zu überstehen.

Akzeptanz
Annahme der neuen Situation, eventuell die Einsicht, dass das Leben ab jetzt nicht mehr dasselbe ist wie vorher. Man entwickelt neuen Selbst- und Weltbezug und steht wieder auf… „Das Leben geht weiter“…

Die feste Überzeugung, dass sich auch in Phasen der tiefsten seelischen Betäubung alles zum Guten wenden wird… alles was bleiben muss… Hoffnung…

17. Okt. Tag des Grabsteins, 15. Nov. 2020 Volkstrauertag

Fliegerdenkmal auf dem Fellingshäuser Friedhof

Gedenktage und Grabsteine haben in vielen Kulturen und Religionen der Welt eine besondere Bedeutung. Sie sind ein Teil der Trauerarbeit, eine Form des Umganges und der Integration von Verlusten. Rituale und Symbole sind an diesen Tagen und an besonderen Orten die sichtbaren Zeichen des Andenkens und der Dankbarkeit an die Verstorbenen, die ja noch weiter in unserer Erinnerung „leben“. Insbesondere das Grab ist der zentrale Ort der Erinnerung, sowie ein Ort, an dem Trauer erlebt und verarbeitet werden kann.

Seit 2018 gibt es den „Tag des Grabsteins„, an dem man sich bei den örtlichen Steinmetzen über Grabsteine, Grabgestaltungen, Preise und die Geschichte des Grabstein informieren kann.

Seit 1952 wird der Volkstrauertag begangen und an die Kriegstoten und Opfer der Gewaltherrschaft der Weltkriege aller Nationen erinnert.
Im Jahr 2020 ist vieles anders.
Das Corona-Virus – und die Angst davor, krank zu werden oder zu machen – hat das Land im Griff.
So wird es in diesem Jahr in den Ortsteilen keine Bürgerversammlungen im Gedenken geben, es werden keine Chöre singen, keine Reden gehalten. Lediglich die Bürgermeisterin und die Ortsvorsteher/innen werden an diesem Tag stellvertretend für die Mitbürger in stillem Gedenken die Friedhöfe der Gemeinde besuchen.

Eine kurze Geschichte der Religion – Teil 4

https://www.apotheken.de/krankheiten/hintergrundwissen/5608-was-ist-sexualitaet

Zu den Rätseln, denen sich der Mensch seit jeher gegenübersieht und deren Lösung er in der Religion sucht(e), gehört die Sexualität.
Anfangs hatte man nicht einmal den Zusammenhang zwischen Koitus, Schwangerschaft und Geburt begriffen. Die Rolle des Mannes bei der Fortpflanzung war noch unbekannt. Die Fruchtbarkeit wurde in der Gestalt von Muttergottheiten verehrt.

Doch der Mann imponierte durch seinen Penis, dessen Vergrößerung und Erektion wie ein Wunder wirkte. Der Phallus wurde zum Symbol der Herrschaft und wurde in Form von Totemphählen, Tempelsäulen und Königszeptern verehrt.

In frühen Mythologien beginnt die Geschichte der Menschheit mit einer Frau; damals hatte man die Geburt eines Kindes nur auf die Mutter zurückführen können. Erst später entstanden Legenden wie die biblische Geschichte von Adam und Eva, nach denen der Mann das erste menschliche Wesen gewesen sei.
Der Wandel entsprach dem Übergang vom Mutterrecht zum Patriarchat. Die neue Auffassung beeinflusste ihrerseits fortan die Geschlechterrollen von Mann und Frau.

Durch die Geschichte der Religionen zieht sich der Konflikt zwischen einer Verherrlichung und einer Abwehr der Sexualität, da sie so eng mit dem Schöpfungsakt und dem Beginn von Leben assoziiert ist.
Nirgends sonst lässt sich das Wunde der schöpferischen Natur so unmittelbar erleben wie in der Kette der Fortpflanzungsfunktion – die früher zugleich – für Frau und Kind – so nah dem Tod war.
Nichts kann dem Menschen ein so vollkommenes Glück bieten wie die sexuelle Lust. Nichts bindet Menschen so aneinander wie die geschlechtliche Liebe. Nichts bringt Menschen so in Rage wie enttäuschte Liebe, Eifersucht und Besitzstreben. Nichts ist in diesem Zusammenhang so dumm, wie Letzteres.

Frühe religiöse Rituale waren sexuelle Orgien. Die Götter des Polytheismus lebten den Menschen die Sexualität gleichsam vor, die Ehe wie den Ehebruch, die Verliebtheit wie die Promiskuität, den Inzest wie die Strafe dafür, die erbitterten Rivalitäten wie die Formen der Perversion.

Aber die Ordnung des Gemeinschaftslebens im Interesse auch der Arbeitsteilung ließen sich nur durch sexuelle Einschränkungen etablieren und aufrechterhalten. Solche Regeln werden von Religionen „geheiligt“.
Zudem erkannte man schon sehr früh, dass religiöser Dienst und religiöse Versenkung (wie in der Gnosis) eine gewisse Abkehr von sinnlichen Freuden voraussetzt. Der Triebstrom, die Libido, musste von seinem Ursprung abgelenkt, „zielgehemmt“ und sublimiert werden, um ganz in die Gottesliebe münden zu können.
Die Sexualität wurde zu Rivalen der Religion.
Um die Menschen auf die ewige Seligkeit auszurichten, die viele Religionen ihren Gläubigen versprechen, musste die irdische Lust aus der Sexualität herabgesetzt und eingedämmt werden.
Doch die Kräfte der Libido, die in die Religion eingebracht werden, haben sie stets sexuell eingefärbt.
Die Heiligen haben ihre Visionen oft mit Worten geschildert, als ob sie eine sexuelle Erfahrung beschreiben.
Je mehr sie ihre Askese steigerten, desto intensiver wurden sie von sexuellen Versuchungen verfolgt.
Die Lieder, mit denen man Jesus, die Madonna oder eine Heilige pries, lesen sich oft wie Liebeslieder.

In dem Kampf gegen die eigene Sexualität wurden die Tendenzen des Sadomasochismus hochgetrieben, der Masochismus in der Selbstbestrafung für „sündige“ Gedanken, der Sadismus in der Verfolgung der Sexualität bei anderen und häufig im Verteufelten der Frau als Verführerin (z.B. als Hexe). Man zwang sich zu einer Verdrängung sexueller Gedanken und flüchtete in eine Neurose.

Jede Religion, jede „Kirche“ und Konfession sucht einen etwas anderen Ausweg aus dem Konflikt zwischen Anerkennung der Sexualität als der Voraussetzung jeden menschlichen Lebens und ihrer Abwehr. Manchmal ist es der Weg in den Himmel (z.B. Kamasutra), manchmal in die Hölle. So haben einige Sekten sexuelle Scheinfreiheiten gelehrt wie Nacktheit, sexuelle Vermischung oder Polygamie, um so dem Trieb ein Ventil zu schaffen.
Die katholische Kirche verweist auch den sexuellen „Sünder“ auf Beichte und Buße und befreit ihn auf diese Weise von seinen Gewissensqualen.
Aus dem Protestantismus erwuchs die Auffassung, dass der Mensche seine Energien in die Arbeit einbringen soll (Puritaner); die Sexualität wurde krampfhaft geleugnet (Prüderie).

Die sexuellen Einschränkungen durch die Religionen geben jedoch der geschlechtlichen Liebe auch einen höheren Rang. Sigmund Freud wies darauf hin, „dass die asketische Strömung des Christentums für die psychische Liebe Wertungen geschaffen hat, die ihr das heidnische Altertum nicht verschaffen konnten“.

Ein Gegenbild dafür bieten die ausgeprägten Formen des Fetischismus.
Wilhelm Stekel hat ihn als „Privatreligion“ charakterisiert. Das erotische Idol wird hier wie ein Götze verehrt, die fetischistischen Handlungen zum Ritual stilisiert. Dennoch stellt auch der Fetischismus eine Sexual-einschränkung dar, einen Ersatz der genitalen Sexualität, eine Vergeistigung, eine Versenkung in Ideen.

Nahezu alle typischen Inhalte und Formen der Religionen haben auch ihr Widerpart in der „Verherrlichung“ des „Bösen“, den schwarzen Messen und anderen protesthaften Zermonien. Ihren sexuellen Gehalt verdanken sie nicht zuletzt einer Rebellion gegen religiös-moralische Sexualtabus.

Religion verspricht Geborgenheit, ihre Kulte bieten sinnliches Erleben.
In ihrer Doppelfunktion, deren beide Tendenzen sich ständig streiten, spiegelt sich der Konflikt, der auch alle Erotik durchzieht.


Literatur:
Ludwig Knoll, Kultur/Geschichte der Erotik, 1982, Band VIII

Eine kurze Geschichte der Religion – Teil 3

katholischer Gottesdienst – Foto: Christian Offenberg

Alle Religionen haben Rituale entwickelt. Ihr Sinn ist a) die Erzeugung eines Gefühls von Sicherheit durch Wiederholung und die Einschätzbarkeit der Situation und b) die Einstimmung der Kultgemeinde auf gemeinsame Gefühle. Die heben den Menschen über ihren Alltag hinaus, helfen ihnen, sich in einer Ekstase gleichsam von sich selbst (von ihrem plappernden Geist, der alles auf sich bezieht) zu befreien, ein flow-Gefühl herzustellen. Über die Fülle der Eindrücke wird oft ein Rausch erzeugt, in dem Hemmungen abgestreift werden können, die das alltägliche Dasein eingeengt haben. Es werden Strebungen freigesetzt, die sonst unterdrückt werden müssen / müssten. So wird ein Ventil geschaffen, das eben nur in der Beziehung zum Ritual und in der Bindung an die Kultgemeinschaft, Erlaubnis findet, sonst Ablehnung und Ächtung erfährt (Beispiel Karneval in katholisch geprägten Gegenden).

Die wachsende Bedeutung des Bewusstseins und der Bildung hat Rituale wie Bindung an die Kirchen stark zurückgedrängt. Hinzu kamen Widersprüche zwischen Lehre und Forderungen sowie dem praktizierten Verhalten, inclusive Amtsmissbrauch bis hin zu vielfach religiös begründeten Aggressionen gegen Andersgläubige.
Viele Religionen lehren an sich Toleranz, aber da jede sich als absolute Wahrheit versteht und sich oft auf eine göttliche Offenbarung beruft, müssen alle anderen Religionen als Aberglaube und „Ketzerei“ erscheinen. Damit im Zusammenhang steht oft die Verpflichtung, sie zu verfolgen, auszumerzen.

Ausgebildete Religionen werden von einer Priesterschaft gewahrt. Teils galten die Priester nur als Lehrer (z.B. Rabbiner) oder als „Hirten“ ihrer Gemeinde (Pastor), teils als direkte Vermittler zur göttlichen Macht (Pfarrer). Ihren Privilegien stehen besondere Pflichten gegenüber. Insbesondere wird oft ihre Sexualität eingeschränkt. In früheren Religionen manchmal durch Kastration, in der katholischen Kirche durch Zölibat.
Die ausgebildeten Organisationsformen nennen sich Kirche. Durch sie fließen weltliche Machtinteressen ein und oft passte man sich mehr oder weniger an politische und andere weltliche Verhältnisse an.
Kirchenobere, Kirchenlehrer, mittlerweile auch Laiengruppen, interpretieren die Lehren, was immer wieder zu Abspaltungen und Sektenbildungen geführt hat.


Literatur:
Ludwig Knoll, Kultur/Geschichte der Erotik, 1982, Band VIII

Eine kurze Geschichte der Religion – Teil 2

Gehen wir noch einmal einen Schritt in der Entwicklung zurück.


Kreationisten (latein. creatio „Schöpfung“) vertreten zwar die religiöse Auffassung, dass das Universum, das Leben und der Mensch buchstäblich so entstanden sind, wie es in den Heiligen Schriften der abrahamitischen Religionen und insbesondere in der alttestamentlichen Genesis geschildert wird.
In seiner strengsten Form wird ein Erdalter von einigen Tausend Jahren postuliert und es wird von einer Sintflut ausgegangen, bei der die meisten Menschen und Tiere umgekommen sein sollen.
Die Evolution, für die es eine lange Beweiskette gibt, wird abgelehnt.

Die Evolutionstheorie beschrieb anfangs die Entstehung und Veränderung der biologischen Einheiten, speziell der Arten, als Ergebnis eines organismischen Entwicklungsprozesses im Laufe der Erdgeschichte, der andauert. Inzwischen gehen die Erkenntnisse von der physikalischen über die chemischen, über die biologische der Arten bis zur kulturellen Evolution.
Ihre drei Hauptfaktoren sind Vererbung, Variation und Selektion.
Sobald es einen Kopieralgorithmus, einen Replikator, gibt, der unvollkommene Kopien seiner selbst macht, von denen nur einige überleben, dann muss es zu einer Evolution kommen. Denn beim Vorhandensein dieser drei Faktoren müssen alle Merkmale, die das Überleben in dieser Umwelt fördern, tendenziell zunehmen.
Solche Algorithmen sind sogar „substratneutral“, d.h. sie funktionieren mit einer beliebigen Palette unterschiedlicher Materialien (z.B. auch mit Sprache, wo wir ähnliche Phänomene, wie in der Biologie beobachten können).

Zu Beginn der Evolution waren es vor allem Moleküle, die Gene, die sich als effektive Speichermedien für die Reproduktion (Vervielfältigung, Kopieranweisung) von Proteinen und anderen Bausteinen des Lebens durchgesetzt haben. Diese Information wurde langsam, gleichsam vertikal, von Generation zu Generation weitergegeben und variiert, so dass sich im Verlauf langer Zeiträume unterschiedliche Arten entwickelten und ausstarben.

Nachdem Menschen gelernt hatten, Gegenstände herzustellen oder Laute zu formen und zu imitieren, „erbten“ die Kinder das Wissen der Eltern, ihre Religion, den Hof oder das handwerkliche Können.
Mit der Entwicklung von Sprache entstand dann ein entscheidender Umschlag in den Möglichkeiten, Wissen weiter zugegeben.
Mit der Sprache entstand ein weiterer Replikator (Wiederholer, Vervielfältiger), mit dem Informationen nun nicht mehr nur vertikal weitergegeben werden konnte, sondern nun auch horizontal – innerhalb einer Generation und von wenigen an viele.
Mit Sprache ließen sich nun nicht nur Produkte kopieren, sondern auch Produktions- und Bedienungsanleitungen herstellen; es ließ sich aber auch völlig Neues kreieren, das über die Natur hinausging.

Immer mehr Geschichten (Narrative, Meme), Anleitungen und Tratsch entstanden, führte zu einem enormen Wachstumsschub des Gehirns und weiteren damit zusammenhängenden Veränderungen der menschlichen Körper.
Allmählich entwickelte sich das Wissen der Menschheit aufeinander aufbauend.
Häufig gehörte und wieder erzählte Geschichten unterlagen nun auch einem Selektionsdruck, in dem um die Verbreitung von Ideen gerungen wurde.
Dabei wirkten „Gewinner-Geschichten“ wahrer als andere – ganz unabhängig davon, ob sie wahr waren oder nicht.
Das Weitergegebene musste entweder alltagstauglich funktionieren, begeistern, emotionalisieren oder von genügend Leuten weitergetragen werden.

Mit der Schrift nun erhöhte sich die Kopiertreue, die Haltbarkeit von Informationen und, spätestens seit es gedruckte Bücher gab, erhöhte sich auch deren Verbreitungsgrad, der sich mit dem Aufkommen des Internets vor kurzem noch einmal vervielfältigte und beschleunigte.

Ein großer Verbreitungsgrad aber oder eine lange Tradition führen psychologsich zwar zu dem Eindruck von Konsistenz (latein. consistentia = Folgerichtigkeit, Geschlossenheit, logische Widerspruchsfreiheit).
Das machte Geschichten real allerdings nicht wahrer.

Zu den Geschichten des Katholizismus z.B. gehört ein allmächtiger und allwissender Gott, der Glaube an Jesus Christus als Gottes Sohn, geboren von der Jungfrau Maria, der nach seiner Kreuzigung von den Toten auferstanden und nun (in alle Ewigkeit) imstande ist, unsere Gebete zu erhören.
Darüber hinaus glauben Katholiken, dass ihre Priester ihnen in der Beichte Sünden vergeben können, dass der Papst im buchstäblichen Sinne das Wort Gottes verkündet und dass sich Brot und Wein während der Messe in das Fleisch und Blut Christi verwandeln.

Jedem, der nicht von diesen christlichen Überzeugungen infiziert ist, müssten solche Vorstellungen bizarr erscheinen: z.B.
Wie kann ein unsichtbarer Gott allmächtig wie auch allwissend sein?
Warum sollten wir eine 2000 Jahre alte Geschichte glauben, der zufolge eine Jungfrau ein Kind geboren hat?
Was kann es nur bedeuten, wenn man sagt, dass sich Wein in das Blut Christi verwandelt?
Wie kann jemand für unsere Sünden gestorben sein, wenn wir damals noch nicht einmal geboren waren?
Wie kann er von den Toten auferstehen, und wo ist er jetzt?
Wie kann ein Gebet, das man im stillen Kämmerlein spricht, etwas zu bewirken?
Natürlich gibt es eine ganze Reihe von Befunden, die die Wirksamkeit von derartigen Gebeten und die positive Wirkung von Glauben bzw. Gemeinschaft belegen, doch kaum Experimente, die die korrelativen Zusammenhänge in eine kausalen Zusammenhang stellen könnten.
Daher dürften für derartige Befunde hochwahrscheinlich Erwartungshaltung, Placeboeffekte und soziale Phänomene als Erklärung passen.


Literatur:
Ludwig Knoll, Kultur/Geschichte der Erotik, 1982, Band VIII

Eine kurze Geschichte der Religion – Teil 1

Re-ligio (latein. re = zurück, ligeo = verbinden, gewissenhafte Berücksichtigung, Sorgfalt) 
gab es wohl schon lange vor dem Römischen Reich, in dem Latein gesprochen wurde.
Wenn wir den archäologischen Deutungen folgen, dürften Religionen schon früh entstanden sein. Jedenfalls wird das aus den Grabfunden überall auf der Welt geschlossen.
Denn Grabbeigaben legen die Vermutung nahe, dass Menschen an ein Jenseits und ein Leben nach dem Tode glaubten. Damit scheinen spirituelle Gedanken und Religion über das eige kurze Leben hinauszuweisen und Orientierung zu geben.

Spirituelle Überzeugungen könnten sich aus der Einsicht der Menschen in ihre Schwäche gegenüber der Natur und dem oft als schicksalhaft erlebten Verlauf ihrer Leben entwickelt haben. Dabei dürfte auch das Gefühl und der Wunsch eine Rolle gespielt haben, dass es einen Zusammenhang zwischen dem menschlichen Leben, Leiden und den unsichtbaren Kräften gibt und dass all die Erfahrungen einen Sinn ergeben.

Heute wissen wir vom Streben des menschlichen Gehirns, Zusammenhänge zu erkennen und zu konstruieren, um Ereignisse zu verstehen oder zumindest in eine Geschichte zu gießen ….. in der Hoffnung auf Kontrolle und Verminderung von Unsicherheit in der Natur.
Wir wissen allerdings auch, wie fehlerbehaftet und gruppenabhängig Wahrnehmungen, Erinnerungen, Erkenntnisse und Erklärungsversuche und weitererzählte Geschichten sein können.

Wir können uns gut vorstellen, dass in der Frühzeit viele Phänomene, die wir heute naturwissenschaftlich erklären können, noch unverstandenen waren; z.B. der Zusammenhang von Koitus, Schwangerschaft und Geburt und das Mysterium des Lebens.
So findet man z.B. weltweit immer wieder die Vorstellung, dass die mächtigen Wesen entrückt, dem Himmel nahe, auf Bergen wohnen oder dass es eine unsichtbare Kraft (Prana, Chi, Atman, Manitu, Od, Äther, elan vital, Libido, Orgon) gibt, die Unbelebtes in Lebendiges verwandelt.
Solche Erklärungsmuster wurden inzwischen durch wissenschaftliche Erkenntnisse und Nachweise widerlegt und entmystifiziert, da all diese Prozesse sich auch ohne eine steuernde Kraft entwickeln.

Anfangs dürfte auch die Unterscheidung zwischen einem Einzelnen und seiner natürlichen Umwelt noch wenig ausgeprägt gewesen sein. Alles erscheint mit Allem verbunden, ähnlich wie in der frühen menschlichen Entwicklung, in der ein Kind die Unterscheidung von Mutter und Kind und all den anderen Dingen in der Welt und ihren sozialen Regeln erst lernen muss.
Aber auch Erscheinungen, wie z.B. Gewitter, manche Tiere und Pflanzenwirkungen, Sonnen- oder Mondfinsternis, Kometen am Himmel beunruhigten und wurden zunächst magisch gebannt und mit dem Wirken von übermächtigen Kräften der Natur oder von Göttern erklärt.

Religionen boten Erklärungen für die Entstehung der Welt und für die Weltordnung. Daraus wurden Gesetze für das Verhalten jedes einzelnen Menschen und die Regelung der mitmenschlichen Beziehungen abgeleitet.
Zunächst wurden die Kräfte, die man nicht verstand, widerstrebenden Trieben und übermächtigen Wesen zugeschrieben, die miteinander im Wettstreit lagen. Einige frühe Religionen verehrten die Ahnen oder Naturgeister und fürchteten Dämonen, einige versprachen ein glückliches Leben nach dem Tode.
Um all dem nicht völlig ausgeliefert zu sein, versuchte man sich die Ahnen oder Geistwesen mit Beschwörungen und Opfergaben gewogen zu machen.

Im Animismus wird geglaubt, dass die Dinge der Natur beseelt oder Wohnsitz von Geistern sind.
Im Totem-Glaube steht das Totem als Symbol für einen Urahn, ein Tier , eine Pflanze oder ein Objekt, das als Zeichen des Stammes verehrt wird. Verbunden wurden damit Tabus und erste moralische Forderungen für das Zusammenleben der Gruppe.
Mit der Entwicklung der polythesistenschen Religionen (Glaube an eine Vielzahl von (männlich und weiblich gedachten) Gottheiten; Vielgötterei) wurde deutlich, dass man sich das Wirken der überirdischen Kräfte im Grund nur nach dem menschlichen Erfahrungen vorstellen konnte. Die Götter erschienen als übermächtige, unsterbliche Menschen. Man schrieb ihnen alle menschlichen Leidenschaften zu, die man von sich selbst kannte. Zudem führten die polare Natur des Denkens und die widerstreitenden triebhaften Kräfte in den Menschen zu Polarisierungen, wie Liebe – Hass, Güte – Bosheit, oben -unten, männlich – weiblich usw..
Die flossen in die erzählten Geschichten ein, ebenso wie abgeleitete zu Regeln für das soziale Miteinander.

Vermutlich waren in matriarchalen Gesellschaften die Gottheiten weiblich; mit zunehmender Dominanz der Männer aber stellte man sich den obersten Gott männlich, als einen fürsorgenden und strafenden Vater, der seine Autorität auch willkürlich einsetzen konnte, vor. Während mit Göttinnen Fruchtbarkeit, Schönheit und Liebe und oft auch das Unbegreifliche, das ins Verderben führen könnte, assoziiert wurde, verkörpert der einzigen Gott im monotheistische Glauben der Juden, deren Lehren das Christentum und der Islam in sich aufnahm, die männliche Gewalt und die Überlegenheit des Geistigen über Körperlichkeit und Natur. Er wird der Sexualität entrückt, doch Reste des Poytheismus haben sich im Marienkult und der Heiligenverehrung wieder Ausdruck verschafft. Zudem gibt es auch im Monotheismus eine Art Gegengott, den Teufel, als Vertreter des Bösen, den der gute Gott gewähren lässt, um die Menschen ob ihrer Treue zu prüfen.
Der reine Buddhismus kennt hingegen keine Gottheiten, sondern nur ein ewiges Prinzip.


Literatur:
Ludwig Knoll, Kultur/Geschichte der Erotik, 1982, Band VIII