Was ist ChatGPT?

KI künstliche Intelligenz mit all seinen vielen Anwendungsmöglichkeiten nimmt eine immer größere Rolle in der Arbeitswelt wie auch im privaten Leben ein – bietet viele Annehmlichkeiten und Vorteile, aber auch Gefahren.
Insbesondere der revolutionäre neue Chatbot ChatGPT bekam in den vergangenen Monaten – seit die neue Version GPT-4 Mitte März 2023 veröffentlicht wurde – in der Öffentlichkeit viel Aufmerksamkeit. Denn die aktuelle Version kann deutlich längere Texte verarbeiten und kreieren als ihre Vorgänger.
Dennoch, um die Dimensionen zu verdeutlichen, hatte das US-amerikanischen Unternehmen >OpenAI< 2022 bereits 5 Tage nach der Veröffentlichung der GPT-1-Version 1 Million Nutzer; im Januar 2023 waren es bereits 100 Millionen.
Zum Vergleich: Das bereits im Jahr 2012 erschienene, zu Facebook gehörende soziale Netzwerk Instergram, das vor allem zum Ansehen und Verbreiten von (bewegten) Bildern verwendet wird, brauchte 2 1/2 Jahre; die App TikTok aus dem Jahr 2018, zum Ansehen und Verbreiten von Video-Clips, brauchte 9 Monate, bis es 100 Millionen Nutzer hatte.

ChatGPT ist ein Chatbot, also ein Roboter mit dem man sich unterhalten (engl. chatten) kann.
GPT ist die Abkürzung für „Generative Pre-trained Transformer“.
Das Besondere ist hier, dass es sich nicht um ein Computer-Programm handelt, sondern um ein neuronales Netzwerk, das selbst lernfähig ist; d.h. ChatGPT wurde nicht von Menschen programmiert. Die Maschine lernt anhand von Beispielen (machine learning), um menschliche Sprache zu verstehen und so eine der menschlichen Sprache ähnelnde Antwort zu erzeugen. Dazu werden im System über 200 Milliarden Parameter und Algorithmen aus verschiedenen Netzwerken mit sehr großen Datenmengen verwendet.
ChatGPT-4 basiert auf seinem Vorgänger, dem GPT-3-Sprachmodells von OpenAI, das Milliarden von Sätzen aus sehr vielen Texten aus dem World Wide Web als Input erhielt. Letztlich wurde nichts weiter gelernt, als Zusammenhänge zwischen Wörtern zu erkennen und Wörter so hintereinander zu setzten, dass sie sich wie menschlich produzierte Sätze lesen.
Die neue Version wurde zusätzlich durch menschlichen KI-Trainer, die sich mit dem Roboter unterhielten, trainiert.
Auf diese Weise wurde der maschinelle Output in Sprachstil und Textlänge weiter verbessert, so dass die Ergebnisse nun noch menschlicher erscheinen. Stilistisch kann nun an Inhalten gefeilt werden (z.B. „schreib es etwas lustiger“ oder „vermeide Fremdwörter“). Dabei kann die neuste Version auch Bilder erkennen oder Audio als Inputquelle verwerten. Auch Bugs, also Fehler, in Computerprogrammen kann das System mittlerweile finden, indem mit ChatGPT die Codes nahezu aller Programmiersprachen analysiert werden können. Auch beim Schreiben von Computercodes könnte ChatGPT helfen.

ChatGPT kann zwar z.B. innerhalb von kürzester Zeit ein Referat zu einem Thema erstellen, eine wissenschaftliche Arbeit verfassen, komplizierte Matheaufgaben lösen, Witze erzählen oder Gedichte schreiben. Es kann aber nicht „wahr“ von „unwahr“ (fake) unterscheiden. Es sollte also nicht als Ratgeber verwendet werden.
Die generierten Texte sind zwar in sich logisch, aber nicht unbedingt richtig oder gar inhaltlich verlässlich.
Auch produziert ChatGPT, gibt man die gleiche Anweisung mehrmals, keineswegs jedes Mal den gleichen Text, sondern jedes Mal einen neuen Text. Der Wahrheitsgehalt der von ChatGPT geschriebenen Texte ist Glückssache!
Denn ChatGPT kann nicht im Internet surfen und die Frage nach dem aktuellem Wetter in Paris oder nach aktuellen Wissensstand beantworten. So ist sehr bedeutsam, dass ChatGPT mit menschlichen Texten aus dem Internet trainiert wurde und auf dieser Grundlage zu den meisten Themen Antworten gibt. Sprache jedoch enthält nun einmal alles Mögliche, einschließlich die damit verbundenen offen oder verdeckten Meinungsbilder, Vorurteile, hoffnungslos veraltete Wissensstände und Fakten.

Beim Thema Chatbot und Verantwortung geht es dann ganz praktisch darum, dass die Technik nicht zur Verbreitung von rassistischen, sexistischen oder anderen Vorurteilen, Fake-News, Hass-Sprache, Spam-Mails oder anderen toxischen Inhalten auf unterschiedlichsten Plattformen und Formaten eingesetzt wird. Das kann aber leichter geschehen als man denken mag, lernen doch die mit Sprache trainierten Netzwerke, was man ihnen letztlich der Mensch als Input vorgibt.
Ein Beispiel aus dem US-amerikanischen Gesundheitswesen zeigte solche Verzerrungen (um nicht zu sagen Vorurteile). Wie eine viel beachtete, im Fachblatt Science 2019 publizierte Arbeit nachweisen konnte, wirkte sich die über Jahre hinweg verwendet KI, um Entscheidungen zu treffen, ob ein Patient stationär aufgenommen wird oder nicht, zum Nachteil der Versorgung schwarzer Patienten aus. Denn die KI war mit Daten zu den Gesundheitskosten als Indikator für den Gesundheitsbedarf trainiert worden. People of color geben jedoch, trotz ihres tatsächlichen Bedarfs in der Regel weniger Geld aus als weiße Patienten. So lernte das System, den Grad der Aufmerksamkeit, die ein Patient braucht, bei schwarzen Patienen systematisch zu unterschätzen. Am Ende, bei gleichem Risiko, hatten farbige Menschen eine 50 % geringere Wahrscheinlichkeit ins Krankenhaus eingewiesen zu werden. Sie wurden systematisch als gesünder eingeschätzt als gleich kranken weiße Patienten. Das hat natürlich Konsequenzen; es geht um Leben oder Tod.

Es gehört zur Natur neuronaler Netzwerke, dass sie nicht wissen, warum sie etwas wissen.
Wenn im System über 200 Milliarden Parameter verwendet, heißt das im Klartext, dass es ein Netzwerk mit 200 Milliarden Synapsen (Verbindungsstellen) ist, deren 200 Milliarden einzelne Stärken eben zu genau dem Input-Output-Mapping führen, das es leistet. Man stelle sich einen Vektor mit 200 Milliarden Zeilen vor, also all diese Zahlen untereinander geschrieben mit einer Klammer darum herum. Verstehen kann man hier nicht – egal. was man mit Verstehen auch immer meinen könnte. Aber nicht nur, dass Wahrheit und Falschheit da unterschiedslos nebeneinander gestellt sind, so wie wir es von Internetrecherchen kennen, ChatGPT gibt sogar wissenschaftlich Quellen an, die frei erfunden sind.
Einerseits ist diese halluzinieren des Netzwerkes eine Bedrohung wissenschaftlicher Standards, denen wir vertrauen entgegenbringen, da davon auszugehen ist, dass die Wissenschaftler sich um Zuverlässigkeit und Wahrheit bemühen;
andererseits hat diese frei Kombination von Inhalten auch schon neue Eiweißkörper gefunden, die tatsächlich funktionieren und so der Proteinforschung völlig neue Erkenntniswege erschlossen.
Experten können aus Halluzinationen, also Inhalten denen (noch) keine Realität entspricht, innovativ nutzen, einfache Nutzer können das in der Regel nicht.
Wenn es in einem Text also wirklich um etwas geht, z.B. um die Einhaltung von Regeln der Statistik, um Physik, Material und Recht in einem Bauantrag, die Diagnose und Therapie in einem Arztbrief, Lehrbücher für Geschichte oder Chemie, einen Zeitungsartikel über das neueste Tagesgeschehen oder irgendeinen wissenschaftlichen Fachartikel, dann geht es um Vertrauen. Denn kein Mensch kann alles nachprüfen, bevor er handelt.
Wenn wir also z.B. ein Medikament einnehmen oder ein Flugzeug besteigen, dann glauben wir daran, dass sämtliche Bestimmungen der nationalen und internationalen Behörden erstens der Wahrheit entsprechen und zweitens auch erfüllt bzw. eingehalten werden. Man kann zwar alles anzweifeln, aber nicht alles auf einmal.

Jeder kann sich jedweden Text, dessen Inhalt er einigermaßen charakterisieren kann, mit Hilfe von ChatGPT schreiben lassen – ohne dass es auffällt. z.B. “Schreibe eine Bewerbung mit folgenden Daten; einen Leserbrief mit folgendem Inhalt, einen Zeitungsartikel über … mit 200 Wörtern, eine Arbeit zu … mit 5000 Wörtern zur Zusammenfassung von …)
Allerdings: welche langfristigen Folgen wird es haben, wenn man nichts mehr selber schreiben braucht?, wenn weitere Hirnfunktionen extern erledigt werden! Es ist, wie bei vielen Fortschritten der Technik, schwer abzusehen!
Einige Wissenschaftler warnen bereits davor, dass Menschen durch die Übertragung des Denkens auf automatisierte Chatbots die Fähigkeit zum eigenständigen artikulieren von Gedanken verlieren könnten. Für diejenigen, die diese Fähigkeiten erlernen und ausbilden wollen, sind Chatbots ganz offensichtlich ungeeignet.
Denn Denken wie Schreiben erlernt man nur dadurch, dass man denkt und schreibt, und keineswegs dadurch, dass man über Geschriebenes diskutiert. Fußball oder Saxophon zu spielen lernt man ja auch nicht, indem man darüber redet, Fern sieht oder Musik hört.
Zudem hat diese KI-Technik Konsequenzen auf Hausarbeiten und Prüfungen, die in Schulen, Universitäten und Büros ganz neu konzipiert werden müssen.
Aber auch ein weiterer Aspekt ist von Bedeutung: Kein ökologischer Fußabdruck wächst derzeit schneller als der des Digitalen.

Quelle: ChatGPT – Nur ein weiterer Trend oder eine Revolution? Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer, Uni Ulm; in Nervenheilkunde 2023; 42; 192-199
mehr noch auch über den Galileo-TV-Link

Alles was bleibt…

Gastbeitrag von Dr. Lothar Drese, Wettenberg

Die Ur-Hoffnung ist tief in uns vergraben. Es ist keine akute Hoffnung, an die wir täglich denken, aber jeder hat sie in sich. Das ist auch gut so! Was wäre das für ein Leben, wenn wir sekündlich an all das Schlimme denken würden, was jederzeit passieren könnte?
Gleichzeitig ist aber auch absolut lebensnotwendig, dass diese Ur-Hoffnung überhaupt existiert.
Das Leben besteht aus einem kontinuierlichen Wechsel von Höhen und Tiefen… die Höhen genießen wir und die Tiefen meistern wir immer durch die Gewissheit der baldigen Besserung, während der selbstverständliche Alltag weiterläuft.

Doch was, wenn die Selbstverständlichkeit wegbricht?
Was, wenn wir ein schreckliches Unglück, eine Tragödie verarbeiten müssen?
Wie oft denken wir „Mir geschieht so etwas nicht!“ oder „Das würde ich niemals tun!“?
Aber das Leben ist unvorhersehbar und vor manchen Dingen ist niemand sicher.
Alles kann geschehen, auch Dinge, die man sich niemals hätte vorstellen können.
Und dann kann ein Tief des Lebens sehr ausgeprägt sein und vor allem auch ziemlich lang andauern.
Oben erwähnte Überwindung durch Gewissheit der baldigen Besserung meistern wir über kurze Zeiträume.
Vor allem betrifft dies zumeist Situationen, in denen wir steuernd agieren können.
Gravierende Schicksalsschläge versetzen unsere Seele jedoch zunächst in einen emotionalen Schockzustand, deren Rehabilitation zum einen über einen langen Zeitraum geschieht und dessen Ende zum anderen nicht absehbar ist. Hinzukommt, dass wir diese Gegebenheiten meist hinnehmen und aushalten müssen, ohne aktiv für Änderung sorgen zu können.

Unabhängig davon, was der Auslöser ist oder wie es dazu gekommen ist, muss ein einschneidendes Erlebnis verarbeitet werden. Hierzu führt Elisabeth Kübler-Ross fünf Phasen der Bewältigung auf
(die nicht immer und nicht immer in dieser Reihenfolge oder auch wiederholt wechselnd auftreten können):

Leugnen
Die Phase des Schocks! Emotionen brechen über einen herein, die man vorher in dieser Ausprägung nicht kannte. Alles erscheint wie in einem Nebel, in einer Trance… „Es kann nicht wahr sein!“

Zorn
Schuldige werden gesucht, da man sich nie allein verantwortlich fühlen möchte… „Wer hat mir das angetan?“… „Warum wird ausgerechnet mir das angetan?“

Verhandeln
Phase der Hilflosigkeit und Verzweiflung… vielleicht die schwierigste Zeit. Man fängt an, die Situation zu realisieren und möchte sie nun ändern. Das sich dann einstellende Gefühl bei seinen Versuchen der Steuerung keinen Einfluss zu haben, also das Gefühl der Ohnmacht, ist kaum zu ertragen… „Wie kann ich es wieder gut machen?“… „Wie komme ich hier heraus?“

Depression
Eingeständnis… „Ich kann es nicht abwenden.“… Man ergibt sich dem Zustand und beginnt auszuhalten. Häufig brechen in dieser Zeit depressive Phasen über Momente der Stärke hinein und erschüttern die innere Stabilität. Die Ur-Hoffnung wird nun auf ihre Robustheit überprüft und es kostet unglaublich viel Energie, diesen Verlauf zu überstehen.

Akzeptanz
Annahme der neuen Situation, eventuell die Einsicht, dass das Leben ab jetzt nicht mehr dasselbe ist wie vorher. Man entwickelt neuen Selbst- und Weltbezug und steht wieder auf… „Das Leben geht weiter“…

Die feste Überzeugung, dass sich auch in Phasen der tiefsten seelischen Betäubung alles zum Guten wenden wird… alles was bleiben muss… Hoffnung…

Jesus hätte auch ein Mädchen, oder oder werden können – Teil 1

Dieser Artikel ist um Weihnachten herum entstanden, daher erklärt sich der Titel.

Gerade die Weihnachtszeit, in der wir uns symbolisch auf die Ankunft eines Kindes freuen und die Wiedergeburt des Lichtes mitten im Winter feiern, scheint mir ein geeigneter Anlass, mich diesem Thema, das so Vorurteilsbehaftet ist, zuzuwenden und Aufklärung zu betreiben.

HO HO HO

Nach langem Sträuben und Verleugnen hat der Gesetzgeber 2018 endlich offiziell anerkannt, dass es mehr als zwei “Geschlechter” gibt – wobei ich finde, dass es zwei “Gegute” heißen müsste, was automatische andere und freundlichere Assoziationen hervorrufen würde. Traditionell aber, vor religiösen Hintergründen, wurden körperliche Belange, assoziiert mit weiblich, als schmutzig und nieder gewertet, im Vergleich zu, verknüpft mit männlich, Geistigem und Tanszendentem (jenseitigem).
Unsere Körper, unsere biologische Natur, ist aber nun mal die Basis unseres Lebens, das wir identifiziert mit bestimmten Daseinsmustern verbringen. Die Natur, wie auch unsere Kultur, bringen nun unterschiedliche Daseinsformen hervor, die hier aus medizinischer wie aus psychologischer Sicht näher angeschaut werden können:

Die biologischen Bedingungen im Frau Inter Trans Mann – Werdeprozess

In den Frühstadien seiner Entwicklung trägt der Säugetierembryo das Potential (die Anlage) zur männlichen wie zur weiblichen Form in sich.

Lithograph by J. G. Bach of Leipzig after drawings by Haeckel, from Anthropogenie published by Engelmann – Nick Hopwood. “Pictures of Evolution and Charges of Fraud:: Ernst Haeckel’s Embryological Illustrations”, Isis 97 (2006), 260-301 

Die anfänglich undifferenzierten Keimdrüsen (Gonaden) entwickeln sich entweder zu Hoden oder zu Eierstöcken, je nach dem genetischen Kode, den die unterschiedlichen Erbanlagen (Chromosomen) der männlichen 46, XY- oder der weiblichen 46, XX-Gene bilden.
Dennoch verläuft diese Differenzierung (Unterschiedsbildung), ungeachtet der genetischen Programmierung, stets in Richtung der weiblichen Form, sofern nicht die erforderlichen Testosteronspiegel (ein Sexualhormon) im Blut der Mutter und damit des Kindes gegeben sind. Mit anderen Worten: selbst wenn die Erbinformation mit XY-Chromosom männlich ist, führt eine zu geringe Menge am Sexualhormon Testosteron zur Ausbildung weiblicher Geschlechtsmerkmale. Das Prinzip der Feminisierung hat dann Vorrang gegenüber der Maskulinisierung.

Videos zur Anatomie der Geschlechtsorgane

Beim Menschen sind die primitiven, urtümlich Keimdrüsen ab der 6. Schwangerschaftswoche auszumachen, wenn beim männlichen Embryo unter dem Einfluss des genetischen Kodes testikuläre, also vom Hoden kommende, Hormone ausgeschüttet werden.
Messbar sind dann zum Einen der Müllersche Hemmstoff, der eine hemmende Wirkung auf die normale weibliche Entwicklung der Gonaden ausübt und zum Anderen das Testosteron, das das Wachstum innerer und äußerer männlicher Organe fördert; insbesondere die Entwicklung der beidseitig angelegten Wolffschen Gänge (der Ur-Nierengänge).
Liegt ein weiblicher Gencode vor, setzet in der 12. Schwangerschaftswoche die Ausdifferenzierung der Eierstöcke (Ovarien) ein. Im Verlauf der normalen weiblichen Entwicklung wird aus den primitiven Müllerschen Gängen die Gebärmutter (der Uterus), die Eileiter und das innere Drittel der Vagina.
Bei Männern dagegen entwickelt sich das System der Müllerschen Gänge zurück, während sich das System der Wolffschen Gänge ausbildet und zu Samenleiter, Samenblasen und Ausspritzungsgängen wird.

Während also die inneren Vorläufer sowohl von männlichen als auch weiblichen Geschlechtsorganen zur möglichen Entfaltung bereitliegen, sind die Vorläufer der äußeren Genitalien unitypisch; das heißt, dieselben Vorläufer können sich entweder zu männlichen oder zu weiblichen äußeren Geschlechtsorganen entwickeln.
Sind während der kritischen Phase der Unterschiedsbildung ab der 9. Schwangerschaftswoche keine passend hohen männlichen Sexualhormone (Androgene: Testosteron und Dihydrotestosteron) gegeben, kommt es zur Entwicklung von Klitoris, Vulva und Vagina. Sind die Hormonspiegel passend hoch, bilden sich Penis mit Eichel und Hodensack. Bei normalem Verlauf entwickeln sich die Hoden innerhalb es Bauchraumes (Abdomen) und wandern während der 9. Schwangerschaftswoche an ihre Position im Hodensack (Skrotum).

Nachdem die Entwicklungsrichtung von inneren und äußeren Genitalien festgelegt ist, verläuft – unter dem Einfluss der im vorgeburtlichen (fötalen) Kreislauf zirkulierenden fötaler Hormone – die Entfaltung bestimmter Hirnbereiche dimorph
(Als dimorph bezeichnet man in der Biologie das Auftreten in zwei verschiedenen Formen der selben Gattung.)
Das Gehirn ist ambitypisch angelegt, also typischerweise ambivalent, doppelsinnig, zwiespältig, widersprüchlich; und auch hier setzt sich die Entwicklung weiblicher Charakteristika durch, wenn kein adäquater Spiegel an vermännlichenden Hormonen im Blut zirkulieren.
So kommt es zur jeweils spezifischen (unverkennbaren) Ausgestaltung von Funktionen im Hypothalamus und in der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse), die sich bei Frauen hin zum Zyklischen (wiederkehrenden, periodischen) und bei Männern hin zum Nichtzyklischen ausformen. Diese Differenzierung des Gehirns hin zum weiblichen oder männlichen Typus erfolgt im 3. Schwangerschaftsdrittel (27. -40. Schwangerschaftswoche), nachdem die Unterschiedsbildung der Geschlechtsorgane stattgefunden hat. Vermutlich setzt sich diese Entwicklung während der ersten drei nachgeburtlichen Monate noch fort.

Bei Säugetieren, die keine Primaten sind, legen die vorgeburtlichen hormonellen Unterschiede im Gehirn die Struktur des späteren Paarungsverhaltens fest.

Bei Primaten, wozu auch wir Menschen gehören, hingegen sind frühe soziale Kommunikation und soziales Lernen von vorrangiger Bedeutung für die Ausformung des Sexualverhalten.

Die Steuerung tatsächlichen Paarungsverhaltens ist daher weitgehend von den frühesten sozialen Interaktionen, von den wechselseitigen Formen des Miteinander, abhängig. Dabei reagiert das Kind schon auf kleinste Reize und Stimmungen, auf die Art, wie es gehalten wird, auf das Leuchten in den Augen der Bezugspersonen, auf angemessene Versorgung seiner Bedürfnisse, auf lustvolle Stimulation seiner Haut, ob die Mutter still oder eine Flasche anbietet, usw., ob es sich bedroht oder geborgen fühlt.

Die Ausgestaltung der sekundären (sich später entwickelnden) Geschlechtsmerkmale während der Pubertät – Verteilung von Körperfett und Haarwuchs, Stimmbruch und Stimmwechsel, Entwicklung der Brüste, starkes Wachstum der Genitalien – wird von zentralnervösen Wirkfaktoren in Gang gesetzt und durch einen bedeutsamen Anstieg an im Blut zirkulierenden Andogenen oder Östrogenen gesteuert, ebenso wie die spezifischen weiblichen Funktionen von Menstruation, Schwangerschaft und Milchbildung.

Ein hormonelles Übergewicht kann die sekundären Geschlechtsmerkmale verändern.

Bei Jungen und Männern kommt es durch Androgenmangel, also einem Mangel an männlichen Geschlechtshormonen, zu Gynäkomastie (Brustdrüsenvergrößerung beim Mann), bei Mädchen und Frauen führt ein Androgenüberschuss zu Hirsutismus, also zur Ausbildung eines männlichen Behaarungstyps, zu einem Tieferwerden der Stimme und Vergrößerung, also Hypertrophie der Klitoris. Ob sich Veränderungen im Hormonspiegel auch auf das Verlangen und Sexualverhalten auswirken, ist wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt. Klar ist, dass sich bei Männern das sexuelle Verlangen bei unzureichender Verfügbarkeit von Androgenen verringert – bis hin zur sexuellen Apathie; bei normalem oder erhöhtem Spiegel an zirkulierenden Androgenen bleibt das Verlangen und Verhalten aber bemerkenswert unabhängig. Führt man bei niedrigem Androgenspiegel künstliches Testosteron zu, normalisiert sich das sexuelle Verlangen und Verhalten. Rollenverständnis und Selbstbild scheinen hier zudem wirksam zu sein.
Ähnlich zeigt sich in Studien an Frauen, dass zwar direkt vor und nach der Menstruation das sexuelle Verlangen gesteigert ist, dass dies aber nur unwesentliche Schwankungen der Hormonspiegel sondern viel stärker von psychosozialen Reizen abhängt. Insgesamt, im Gegensatz zu anderen Säugetieren, liegt das Schwergewicht der sexuellen Erregung (Arousal) beim Menschen eindeutig auf psychosozialen Determinanten (Bestimmungsgrößen, Faktoren).

https://www.kreis-freising.de/fileadmin/user_upload/Aemter/Amt_fuer_Jugend_und_Familie/Besondere_Fachdienste/Koordinierende_Kinderschutzstelle/Koki_Vortrag_Reck_Depressinen_Angststoerungen_2015.pdf

Wenn wir uns die Entwicklung der menschlichen Geschlechtsmerkmale anschauen und auf der biologischen Stufenleiter verfolgen, stellen wir also fest, dass die psychosoziale Interaktion, sowohl ganz früh im Zusammenspiel von Säugling und seinen versorgenden Menschen, insbes. der Mutter, wie auch später eine zunehmend wichtige Rolle bei der Ausformung des erwachsenen Verhaltens – auch des Sexualverhaltens – spielen. Im Verhältnis dazu tritt bei uns Menschen die Steuerung durch genetische und hormonelle Faktoren klar zurück, auch wenn Adnrogene die Intensität des sexuellen Verlangens und des Sexualverhaltens bei Frauen wie bei Männern beeinflussen können. Dabei legen die biologischen Befunde nahe, dass sexuelle Verhaltensweisen, die normalerweise typischer für das eine Geschlecht sind, als Möglichkeit (Potential) auch im anderen Geschlecht vorhanden sein können.
Dennoch sind die Intensität des sexuellen Arousal, die Einengung der Aufmerksamkeit auf sexuelle Reize und die physiologischen Reaktionen sexueller Erregung – gesteigerte Blutzirkulation, Tumeszenz, Lubrikation von Geschlechtsorganen – allesamt hormonell gelenkt.

Foto: Lindemann; u.a.
Quelle: Otto F. Kernberg, Liebesbeziehungen – Normalität und Pathologie, Klett-Cotta, 2014 – Übersetzung Christoph Trunk

Otto F. Kernberg ist Direktor des Personality Disorder Institute am New York-Presbyterian Hospital, Westchester Division und Professor für Psychiatrie am Weill Cornell Medical College, New York. Er war lange Präsident der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPA) und gilt als einer der bedeutendsten psychoanalytischen Forscher und Theoretiker.

Jesus hätte auch ein Mädchen, oder oder werden können – Teil 2

Die psychosozialen Faktoren im Frau Divers Mann – Werdeprozess

Weltweit finden sich in verschiedenen Zeitaltern und etlichen Kulturen Alternativen zur paarweisen Geschlechter-ordnung. Geschlechtliche Identität, wie auch Sexualität, können flexibel konstruiert sein.
Überliefe­rungen aus Babylonien verdeutlichen: Schon vor 4.000 Jahren wurde Menschen ein drittes Geschlecht zugestanden. Bei einigen nordamerikanischen Stämmen gab es bis zu sechs Geschlechter – biologische und soziale. Durch den Einfluss der christlichen Kolonialmächte verschwand diese Vielfalt.
Seit Dezember 2018 gibt es in Deutschland neben „weiblich“ und „männlich“ die dritte rechtliche Option “divers” (verschieden), die sich auf biologische Intergeschlechtlichkeit bezieht. Sofort änderten 2019 laut Redaktionsnetzwerk Deutschland knapp 1600 Menschen ihren Geschlechtseintrag auf Divers, viel mehr noch wechselten von männlich auf weiblich und umgekehrt. Auch in der Allgemeinbevölkerung rücken diese biologischen und psychologischen Fakten mit der Gender-Diskussion allmählich wieder mehr ins Bewusstsein.
Aufklärung, also Wissen ist da besonders wichtig, um Vorurteilen und schädlichen Phantasien entgegenzutreten.

https://www.uni-due.de/2020-12-16-warum-nur-drei-geschlechter

Bei der Geschlechtsidentität unterscheiden wir die sich entwickelnde
– Kern-Geschlechtsidentität, die festlegt, ob ein Mensch sich als weiblich oder männlich betrachtet.
Es wird davon ausgegangen, dass sie sich spätestens bis zum 2. Lebensjahr herausgebildet hat. 
die Geschlechtsrollenidentität, die sich aus den besonderen psychischen Einstellungen und zwischenmenschlichen Verhaltensweisen – allgemein wie auch spezifisch sexuellen sozialen Interaktionsmustern und Wechselwirkungen – ergeben, die entweder für Männer oder für Frauen charakteristisch sind und sie daher voneinander unterscheiden.
Hier geht man davon aus, dass die Phase zwischen dem 12. und 18. Lebensmonat für die Entwicklung besonders kritisch ist. 
die dominante Objektwahl bestimmt, ob die Wahl eines Sexualobjekts eine heterosexuelle oder eine homosexuelle ist und ob sie sich auf ein breites Spektrum sexueller Interaktionen mit dem Sexualobjekt richtet oder aber auf einen bestimmten Teil der menschlichen Anatomie oder ein nichtmenschliches oder unbelebtes Objekt (z.B. Fetisch).
die Intensität des sexuellen Verlangens spiegelt sich im Dominieren sexueller Phantasien, im Achten auf sexuelle Reize, im Verlagen nach sexueller Betätigung und in der physiologischen Erregung der Geschlechtsorgane wider.

Die Kern-Geschlechts-Identität

Beim Menschen wird die Kern-Geschlechtsidentität (das Empfinden des Individuums, entweder Mann oder Frau zu sein) nicht durch biologische Merkmale festgelegt, sondern durch das Geschlecht, das die Pflegepersonen dem Kind während der ersten 2 – 4 Lebensjahre zuweisen.
Selbst wenn Eltern unter normalen Umständen glauben, sie würden mit einem kleinen Jungen genau gleich umgehen wie mit einem kleinen Mädchen, legen sie geschlechtsbezogene Unterschiede im Verhalten gegenüber ihrem Säugling an den Tag.
Zwar gibt es Geschlechtsunterschiede, die auf der vorgeburtlichen Entwicklung beruhen, aber diese Unterschiede legen nicht automatisch fest, wie die Ausdifferenzierung des männlichen oder weiblichen Verhaltens nach der Geburt verläuft: Eine zur Feminisierung führende hormonelle Pathologie bei Jungen und eine zur Maskulinisierung führende hormonelle Pathologie bei Mädchen hat, außer bei extremen Ausprägungen hormoneller Abnormität, auf die Geschlechtsrollenidentität stärkeren Einfluss als auf die Kern-Geschlechtsidentität.
Bei Mädchen kann z.B. ein vorgeburtlicher Überschuss an Androgenen (männlichen Geschlechtshormonen) der Grund dafür sein, dass sie später jungenhaft wild (tomboys) sind und beim Spielen und bei aggressivem Verhalten mehr Energie umsetzen.
Bei Jungen kann eine unzureichende vorgeburtliche Androgenstimulation zu einer gewissen Passivität und einer schwach ausgeprägten Aggressivität führen, wirkt sich aber nicht auf die Kern-Geschlechtsidentität aus. Außerdem erwerben hermaphroditische Kinder (“Zwitter“), die eindeutig als Mädchen oder Jungen erzogen wurden, eine dementsprechende gefestigte Identität als Junge oder Mädchen, unabhängig von ihrer genetischen Ausstattung, von ihrem Hormonhaushalt oder sogar – in gewissem Maße – von dem äußeren Erscheinungsbild ihrer geschlechtlichen Entwicklung.
Selbst eine früh einsetzende (krankhafte) Pathologie der Kind-Eltern-Interaktion und -Beziehung wirkt sich nicht auf die Konsolidierung (Verfestigung) der Kern-Geschlechtsidentität aus. Es wurde nicht einmal ein Zusammenhang zwischen Transsexualismus (d.h. Bildung einer der biologischen Geschlechtsidentität entgegengesetzte Kern-Geschlechtsidentität bei den Personen mit klar definiertem biologischen Geschlecht – und genetischen, hormonellen oder genitalen körperlichen Normabweichungen) festgestellt.
Psychoanalytische Untersuchungen von Kindern mit abnormer, also von der erwarteten Norm oder dem Üblichen abweichenden sexueller Identität wie auch der Lebensgeschichte von transsexuellen Erwachsenen gibt Auskunft über die wesentlichen Grundmuster.

Eines davon ist, dass männliche Transsexuelle (die biologisch gesehen Männer sind, sich aber von ihrer Kerngeschlechtsidentität her als Frau erleben) typischerweise eine Mutter mit stark bisexuellen Persönlichkeitsanteilen haben, die Distanz zu ihrem passiven oder nicht verfügbaren Mann hält und ihren Sohn geradezu verschlingt, um au symbolischem (sinnbildlichem, figürlichem) Wege für sich selbst eine Vervollständigung herzustellen. Die paradiesische Symbiose schließt indirekt die Männlichkeit des Jungen aus und bringt ihn dazu, sich in übertriebener Weise mit der Mutter zu identifizieren, sich also mit ihr gleichzusetzen und sich in ihrem Verhalten wiederzuerkennen. Damit einhergehend wird die männliche Rolle abgelehnt, die für die Mutter nicht akzeptabel wäre und die der Vater unzureichend verkörpert.
Bei weiblichen Transsexuellen führen das abweisende Verhalten der Mutter und die Unerreichbarkeit des Vaters dazu, dass die Tochter, die sich in ihrer Rolle als kleines Mädchen nicht bestätigt fühlt, zu einem Ersatz-Jungen wird. Zugleich hilft sie damit unbewusst, die Einsamkeit und Depression der Mutter zu lindern. Das maskuline Verhalten wird von der Mutter unterstützt, deren Niedergeschlagenheit daraufhin abklingt; zugleich verstärkt das Verhalten des Kindes das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Familie.

Dass das Verhalten der Eltern gegenüber dem kleinen Kind (insbesondere die Mutter-Kind-Interaktion) Einfluss darauf hat, wie sich seine Kern-Geschlechtsidentität und seine sexuellen Funktionen insgesamt entwickeln, lässt sich nicht nur bei Menschen beobachten. Auch bei anderen Primaten lässt sich beobachten, dass eine angemessene Bindung zwischen Säugling und Mutter durch eine Geborgenheit bietende, engen Körperkontakt eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass sich beim erwachsenen Affen normale sexuelle Reaktionen entwickeln können.

Nach bisherigen Forschungsergebnissen können wir davon ausgehen, dass es frühzeitig eine Geschlechtsidentität gibt, die in der Regel entweder männlich oder weiblich ist; wobei davon auszugehen ist, dass schon die bewussten und unbewussten sexuellen Orientierungen der Eltern und ihre Erwartungen an ihr Kind dabei eine Rolle spielen. Zugleich ist bei beiden Geschlechtern eine psychische Bisexualität vorhanden, die sich aus der unbewussten Identifizierung mit beiden Eltern (so sein wollen wie sie) ableitet. Damit gehört bewusst oder unbewusst eine bisexuelle Orientierung zu den universellen menschlichen Möglichkeiten.

Für eine Kern-Geschlechtsidentifikation spielt es keine Rolle, “ob der Vater das Essen kocht und die Mutter den Trecker fährt”. Diese Geschlechtsrollen sind sozial definiert. Die eigene Kern-Ich-Identität entwickelt sich klar, solange die Geschlechtsidentitäten der Eltern deutlich voneinander unterschieden sind. Verstärkt werden Zuweisung und Übernahme einer Kern-Geschlechtsidentität in der Praxis, indem die auch die Geschlechtsrollen, die als männlich oder weiblich angesehenen werden, vom Umfeld bekräftigt werden.

Die Geschlechts-Rollen-Identität

Die Geschlechtsrollenindentität (die Identifizierung des Individuums mit bestimmten Verhaltensweisen, die in einer Gesellschaft als typisch für Männer oder Frauen gelten) ist stark von psychosozialen (zwischenmenschlichen) Faktoren beeinflusst.
(Psychosozial wird hier das auf das Erleben und Verhalten einer Person bezogen, insoweit es ihre Interaktion (=Wechselbeziehung) mit anderen Personen / Personengruppen oder/und Handlungen betrifft.)
Selbst die spätere Wahl des Sexualobjekts, das Ziel des sexuellen Verlangens, wird in starkem Maße von frühen psychosozialen Erfahrungen abhängig.

Sexualobjket, Foto: https://www.matthiaszehnder.ch/wochenkommentar/darf-man-das/

Alle Vorstellungen und Erwartungen an weibliche oder männliche Verhaltensmuster sind, neben den biologischen Voraussetzungen, von kulturellen, zeitgeschichtlichen und gesellschaftlichen Bedingungen bestimmt. Allerdings sind dabei manche Überzeugungen zur Geschlechtsunterschieden schlicht haltlos, manche sind wissenschaftlich recht gut abgesichert und manche harren noch der Klärung bzw. fallen in den Beobachtungen mehrdeutig aus.

Unhaltbar sind Überzeugungen wie “Mädchen sing geselliger und leichter zu beeinflussen als Jungen”, “Mädchen hätten eine geringes Selbstachtung, seien weniger leistungsmotiviert und besser im Auswendiglernen und bei monotonen Aufgaben” oder “Jungen seien besser bei anspruchsvolleren Aufgaben oder würden analytischer vorgehen” oder “Mädchen stünden mehr unter dem Einfluss von Erbanlagen, Jungen dagegen unter dem Einfluss der Umwelt”, “Mädchen seien eher auditiv (auf das Gehör bezogen), Jungen eher visuell (auf optische Wahrnehmung) orientiert”.
Zu den erwiesenen Geschlechtsunterschieden zählen derzeit, dass Mädchen größere verbale Fähigkeiten haben; Jungen häufiger bessere Ergebnisse bei visuell-räumlichen und mathematischen Aufgaben zeigen und dass sie aggressiver sind.
Noch nicht abgesichert sind Unterschiede in Bezug auf taktile Sensibilität, Schüchternheit und Ängstlichkeit, Aktivitätsniveau, Konkurrenzstreben, Dominanzstreben, Folgsamkeit, Fürsorglichkeit und “mütterliches” Verhalten.

Kultur- und artenübergreifend lässt sich sagen, dass männliche Individuen aggressiver sind und dass das Aggressionsniveau mit Sexualhormonen zusammenhängt.
Bei Mädchen die vorgeburtlich einem Androgenüberschuß (männliches Sexualhormon) ausgesetzt waren, fand sich ein mäßig ausgeprägter Zusammenhang zwischen diesem und der erhöhten Häufigkeit einer späteren homosexuellen Orientierung, doch bedeutsamer war, dass sich solche Mädchen im Vergleich zu Kontrollgruppen jungenhaft wild verhielten, weniger Interesse am Spiel mit Puppen zeigten und weniger Interesse daran zeigten, sich mit Säuglingen abzugeben, dafür aber Spielzeuge wie Autos oder Schußwaffen bevorzugten und lieber mit Jungen spielten.

Solche Ergebnisse legen nahe, dass das Geschlechtsrollenverhalten in der Kindheit von vorgeburtlichen (pränatalen) hormonellen Wirkgrößen beeinflusst wird; andere Befunde deuten darauf hin, dass die meisten Merkmale, in denen sich Jungen und Mädchen unterscheiden, aller Wahrscheinlichkeit nach kulturell bestimmt (determiniert, festgelegt) sind.

Schaut man sich z.B. das Erziehungsverhalten an, das zur Entwicklung von femininem Verhalten bei Jungen führt, sind Wirkfaktoren: Eltern, die gegenüber femininem Verhalten des Sohnes gleichgültig sind oder ihn dazu ermutigen; überbehütende Mutter, abwesender oder sich abweisend verhaltender Vater; kaum Jungen als Spielkameraden.
In Nachuntersuchungen einer Stichprobe solch femininer Jungen fand sich später ein hoher Prozentsatz an Bisexualität und Homosexualität. Allgemein lässt sich sagen, dass Verhaltensmuster, die eigentlich für das andere Geschlecht charakteristisch sind, verbinden sich oft, aber nicht notwendigerweise mit einer homosexuellen Objekt = Partnerwahl.

Die dominierenede Objekt(Partner)wahl

Die bevorzugten Idealbilder attraktiver, erregender Partner/innen leiten sich vermutlich aus Schemata (Mustern) ab, die nicht genetisch, sondern im Entwicklungsprozess im Gehirn angelegt sind und vor dem 9. Lebensjahr durch Umwelteinflüsse vervollständigt werden.

Noch immer scheint es in der westlichen Kultur weit verbreitete Widerstände zu geben, die Existenz einer kindlichen Sexualität zur Kenntnis zu nehmen. Kulturantropologisch (völkerkundlich) konnte gezeigt werden, dass Kinder, wenn derartige Tabus fehlen, spontan sexuelles Verhalten zeigen. Aber auch hierzulande lässt sich in Kindertagesstätten finden, dass Jungen etwa mit 6 – 7 Monaten und Mädchen mit 10 – 11 Monaten an ihren Genitalien herumzuspielen beginnen und dass das Masturbieren sich bei beiden Geschlechtern mach 15 – 16 Monaten durchgesetzt hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder aus der Arbeiterklasse sich selbst befriedigen, ist doppelt so hoch wie bei Mittel-schichtkindern – was darauf hindeutet, dass Klassenstruktur und Milieu das Sexualverhalten beeinflussen.

Schon Säuglinge und Kleinkinder, wenn sie ihre Kern-Geschlechtsidentität und ihre Geschlechtsrollenidentität aufbauen, orientieren und identifizieren sich unbewusst nicht nur mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil, sondern auch mit dem sexuellen Interesse dieses Elternteils am Partner.
Klinische Eindrücke belegen oft eindrucksvoll das wechselseitig verführerische Verhalten von Kind und Eltern.

Erinnerungsspuren, die sich unter besonderen Affektbedingungen bilden (wenn etwas emotional sehr berührt, intensiv erlebt wird), erhalten Kern-Schemata (Grundmuster) einer Interaktion (Welschelwirkung, Miteinander, Kooperation) zwischen der Selbstrepräsentanz (dem Selbstbild) des Kindes und der Objektrepräsentanz der Mutter (dem inneren Bild von der Mutter) unter dem Vorzeichen eines entweder lustvollen oder unangenehmen Affekts. Infolgedessen bauen sich zwei parallele, anfangs voneinander getrennte Stränge von Selbst- und Objektrepäsentanz auf,
Diese anfänglichen Vorstellungen von der guten bzw. der bösen Mutter (die zunächst wie zwei verschiedene Personen aufgespalten erlebt und noch nicht integriert sind) sind ebenso wie die Wahrnehmung eines lustvoll, guten oder schmerzhaft, böse Selbsterlebens, mit positiven und negativen Affektdispositionen (Veranlagung mit einem bestimmten Gefühl zu reagieren) gekoppelt.
Dies anfangs “nur-guten” oder “nur-bösen” Repräsentanzen (verinnerlichte Vorstellungen) vom Selbst und vom Anderen (Objekt) wird schließlich im Verlauf der Entwicklung zu einem Ganzen integrieret, so dass die bedeutenden Bezugspersonen und dann auch andere, wie ebenso man selbst, als sowohl-als-auch gut und böse erkannt und ausgehalten werden können. Die eigene Identität entwickelt sich also nicht nur aus der Identifikation mit einem bedeutsamen Objekt selbst, sondern wird vor allem aus der Identifizierung mit einer Beziehung zu dem Objekt aufgebaut. So identifizieren wir uns sowohl mit unserem Selbst wie auch mit dem Objekt unseres Begehrens.

Da sich z.B. der Junge als ein von seiner Mutter geliebter Junge erfährt, identifiziert er sich mit der Rolle des männlichen Jungen wie mit der Rolle der weiblichen Mutter. So erwirbt er die Fähigkeit, die Position seiner Selbstrepräsentanz (seiner Vorstellung von sich selbst) einzunehmen und zugleich die Repräsentanz der Mutter (das Bild der Mutter und ihrer Reaktion auf ihren Jungen) auf eine andere Frau zu projizieren (eigene Gefühle oder Vorstellungen anderen Personen zuschreiben); oder er lernt – unter bestimmten Bedingungen – in die Rolle der Mutter zu schlüpfen, während er seine Selbstreprästentanz auf einen anderen Mann projiziert (ähnlich, wie ein Bild mit einem Projektor auf einer hellen Wand abgebildet werden kann). Liegt das Schwergewicht der Ich-Identität auf der Selbstrepräsentanz als Junge, so ist sichergestellt, dass bei ihm die heterosexuelle Orientierung vorherrscht (und dass er in allen Frauen unbewusst nach der Mutter suchen wird). Überwiegt dagegen die Identifizierung mit der Mutterrepräsentanz, kann die Folge ein bestimmter Typus von Homosexualität beim Mann sein.

Beim Mädchen wird die Kern-Geschlechtsidentität durch die allererste Beziehung gefestigt, da sie sich in der Interaktion sowohl mit der eigenen wie auch mit der Rolle der Mutter identifizieren. Andererseits wird auch die unbewusste Identifizierung mit dem Vater durch den späteren Wunsch, den Vater als Liebesobjekt der Mutter zu ersetzen (dies in aller kindlichen Unschuld und Unwissenheit – aber in der Vorstellung, den Vater später zu heiraten und besser, allumfassender zu versorgen, als dies die Mutter tut). Diese innere Vorstellungsfigur wird durch das positive Wählen des Vaters (etwa im 4 – 5. Lebensjahr) in der ödipalen Beziehung stabilisiert.
Auch das Mädchen geht also eine unbewusste bisexuelle Identifizierung (Gleichsetzung) ein.
Da die Identifizierung sich nicht so sehr auf einen Menschen als vielmehr auf eine Beziehung richtet und im Unbewussten somit wechselseitig aufeinander bezogene Rollendispositionen aufgebaut werden, kann an davon ausgehen, dass die Bisexualität psychisch begründet ist.
Sie tritt in der Fähigkeit zutage, die Kern-Geschlechtsidentität zu erwerben und gleichzeitig sexuelles Interesse an einem anderen Menschen des anderen oder des eigenen Geschlechts zu entwickeln.

Intensität des sexuellen Verlangens

Bei diesem Thema sind die wissenschaftlichen Ergebnisse zu den biologischen Mechanismen relativ klar, von der sexuellen Appetenz (Verlangen nach sexueller Aktivität, sexuellen Phantasien, Tagträumen; Gefühl, sexuell zu jemandem anderen hingezogen zu sein) über das sexuelle Arousal (Erregung) bis zu Geschlechtsverkehr und Orgasmus; Orgasmus, der kann, aber nicht muss.
Ungewissheit herrscht dagegen nach wie vor über die Reize, die eine sexuelle Reaktion auslösen, und über die subjektive Qualität des Erregungserlebens. Bei Männern und Frauen sind zwar die physiologischen (körperlichen) Begleiterscheinungen bekannt, während über die psychologischen (seelischen) Ähnlichkeiten und Unterschiede weiterhin Uneinigkeit bei den WissenschaftlerInen besteht.
Dennoch kann man zusammenfassend feststellen, dass bei Menschen ein ausreichender Hormonspiegel zirkulierender männlicher Hormone eine Voraussetzung für die Fähigkeit zur sexuellen Reaktion zu sein scheint und somit das sexuelle Verlangen bei Männern wie bei Frauen beeinflusst. Bei normalen und erhöhten Hormonspiegeln aber sind sexuelles Verlangen und Verhalten erstaunlich unabhängig von hormonellen Schwankungen.
Beim Menschen ist der Faktor, von dem die Intensität des sexuellen Verlangens in erster Linie abhängt, kognitiver (verstandesmäßiger) Natur, und besteht im bewussten Wahrnehmen des sexuellen Interesses, das sich in sexuellen Phantasien, Erinnerungen, in einer erhöhten Aufmerksamkeit für sexuelle Reize niederschlägt und eine gesteigerte Aufmerksamkeit für verstärkende Reize umfasst, die für die eigene sexuelle Orientierung und das passende Sexualobjekt relativ spezifisch (passgenau) sind.
Das Erleben selbst ist nicht rein “kognitiv“, sondern enthält ein starkes affektives Element, so dass es in erster Linien ein gefühlsmäßig-bewusstes Erleben ist.

Physiologisch gesehen ist das affektive Gedächtnis an das limbische System gebunden, das das neuronale (nervliche) Substrat (Fundament) der Sexualität wie auch anderer Appetenzfunktionen (Lust haben auf) ist.
Untersuchungen an Tieren haben gezeigt, dass bestimmte limbische Regionen Erektion und Ejakulation steuern, dass es da sowohl anregende als auch hemmende Mechanismen gibt, die auf die sichtbare Erektionsreaktion einwirken.
Unter dem Einfluss eines emotionalen, sich bewusst sich sexuelles ausrichtenden Zustandes, mobilisiert das limbische System Kontrollzentren, die ein Anschwellen, Feuchtwerden und eine lokal erhöhte Empfindlichkeit der Geschlechts-organe bewirken – deren Gewahrwerden wiederum wird als verstärkendes Feedback (Signal) an das Gehirn geschickt. Es entsteht ein sich selbst verstärkender positiver Engelskreislauf; deren negative Variante Teufelskreislauf genannt wird. Aber all das sind beim Menschen lediglich “Bausteine” des Sexualtriebes, der Libido als ein übergreifendes Motivationssystem. Damit stellt es den Grundaffekt des komplexeren physiologischen Phänomens: des erotischen Begehrens, die in einer emotionalen Beziehung an ein spezifisches Objekt (einen besonderen Menschen, manchmal jedoch auch an besondere Dinge) gebunden ist.

Foto: Lindemann; u.a.
Quelle: Otto F. Kernberg, Liebesbeziehungen – Normalität und Pathologie, Klett-Cotta, 2014 – Übersetzung Christoph Trunk

Otto F. Kernberg ist Direktor des Personality Disorder Institute am New York-Presbyterian Hospital, Westchester Division und Professor für Psychiatrie am Weill Cornell Medical College, New York. Er war lange Präsident der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPA) und gilt als einer der bedeutendsten psychoanalytischen Forscher und Theoretiker.


Digitalisierung im Kinderzimmer – nützliche Links

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Hirnentwicklung im Mutterleib

Alles Verhalten hat Auswirkungen.
Diese Wirkungen hängen von Inhalten, von Art und Dauer eines Gebrauches sowie von der altersgemäßen Passung des Angebotes ab:
Je jünger und undifferenzierter ein Organismus,
desto langfristiger und globaler die Auswirkungen.
Je höher die Dosis,
desto gravierender die Folgen im Gehirn.

Entwicklung digitaler Medien

Marianne Büsing: Digitale Medien – Fluch oder Segen für die kindliche Entwicklung?

neuronale Vernetzung vom Neugeborenen bis 2. Lebensjahr
oben: täglicher Fernsehkosum weniger als 1 Stunde
unten: täglicher Fernsehkonsum mehr als 3 Stunden
Bild: Zeitschrift Nervenheilkunde 7/2013

Daher hier eine Liste nützlicher Links für Eltern:

http://www.dkhw.de/schwerpunkte/medienkompetenz

http://www.kika.de/fernsehen

http://www.tivi.de/

http://www.arte.tv/guide/de/pus7/junior

http://www.helles-koepfchen.de/

http://www.kinderfilmwelt.de/

http://www.iff.de/

http://www.handysektor.de/

http://www.surfen-ohne-risiko.net/

http://www.klicksafe.de/

http://www.klick-tipps.net/

http://www.surfen-ohne-risiko.net/

http://www.chatten-ohne-risiko.net/

http://www.internet-abc.de/

http://www.fimmo.de/

http://www.seitenstark.de/

http://www.zum.de/

http://www.hanisauland.de/

https://www.fragfinn.de/

http://www.watchyourweb.de/

http://www.schau-hin.info/

http://www.internet-abc.de/

http://www.erfurter-netcode.de/

http://www.checkeins.de/videos

http://www.jugendschutz.net/

http://www.jugend-support … bietet Hilfe bei Stress im Netz

Schüler leben in ihrer eigenen Welt

Foto: Dieter Faust

Eine Musiklehrerin (die, um niemanden zu diskriminieren, anonym bleibt) sammelt Schreibweisen ihrer Schüler. Denn es gibt so viele davon, dass es sich lohnt:
Betels, Bidels, Bütels und Batels ist zwar ganz hübsch, aber „Beatles“ könnte, infolge von Englischunterricht, – auch 50 Jahre nachdem Jugendliche schreiend vor ihren Helden zusammengebrochen sind – heutzutage ebenfalls noch richtig geschrieben werden.
Ein paar Lieder der Beatgruppe sind noch bekannt, „Yesterday“ z.B. oder „Yellow submarine“ oder „Let it be“.

Letztlich aber ist das alles Musikgeschichte, so wie Mozart, Beethoven und Brahms bzw. Beathofen, Betofen, Motzart, Motzard, Brams oder Heiden oder Claud de bessiere oder Schußkowski.
Auch Allgemeinbildung könnte helfen, z.B. bei der Frage, wie die Hauptperson in Mozarts „Zauberflöte“ heißt: Erasco oder Ramazotti oder Sarastro? oder Pumpernickel, Paparazzi oder Papageno?

Ebenso kann man sich wundern, wenn der Song „Last Christmas“ von George Michael einem Lars Chrisman zugeordnet wird, oder zu lesen ist, „Bach vöckelte viel herum“, als es im Unterricht um den Kinderreichtum des Komponisten Johann Sebastian Bach ging.

Als Lehrer muss man sich daran gewöhnen, dass es heutigen Schülergenerationen schwer fällt, überhaupt noch wahrzunehmen, was außerhalb ihrer Lebenswelt bedeutsam ist. Etwas übertrieben könnte man auch sagen, dass viele kaum noch etwas wahrnehmen, was außerhalb des Horizonts ihres Smartphones liegt.

Quelle: „Paul Mäck Kartnei lebt noch und Rinko Star auch“
von Frank Pergande,  Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 2. 8. 2020

Eltern, Kinder und das Smartphone / Tablet usw.

Kinder zwischen 2 und 5 Jahren sollten maximal eine Stunde pro Tag vor dem Tablet sitzen, empfiehlt die American Academy of Pediatrics. (Quelle: ÄrzteZeitung)

Kinder orientieren sich an Erwachsenen, wollen gerne so toll wie sie sein. Eltern haben Vorbildfunktion.

Spitzer, Manfred, Generation Google, Wie verändern digitale Medien unsere Bildung, Moral und personale Identität? Nervenheilkunde, 29: 711-716, 11/2010

Inzwischen sind Mediengeräte im Alltag mit Kindern allgegenwärtig; insbesondere in diesen Zeiten der Corona-Beschränkungen, in denen Eltern gleichzeitig Eltern, Lehrer, Betreuer sein müssen, während sie den Haushalt und zum Teil auch noch das Homeoffice bewältigen sollen,
Doch immer wieder weisen Fachleute darauf hin, dass schon das Experiment Fernsehen für viele keinen Bildungsgewinn brachte; um so weniger wird das Gedaddel auf Smartphone, Tablet, PC oder Spielekonsole bei den meisten Kindern und Jugendlichen solche positiven Effekte zeitigen.
Schlimmer noch – und das beginnt schon bei Babies – macht die permanente Präsens des Mediums, eines “Dazwischen”, einen ernsthaften Verlust: starren Mutter und Vater – zum Teil selbst während des Spielens, Essens oder Spaziergangs mit dem Kind – immer wieder auf das Handy, fehlt den Kindern der Blickkontakt und die Lebendigkeit der Mimik im Gesicht ihrer Eltern. Diese Kommunikationsmittel müssen sie ja erst interpretieren lernen, so wie Sprache auch.
Auch den Eltern fehlen die vielen kleinen, subtilen Hinweise des Kindes, die sie einfach nicht mehr sehen,
so dass es zu zunehmenden Kontaktstörungen kommt. Mit dem Kind kommt, ähnlich wie beim Handy, kein Kontakt zustande, wenn man keine Aufmerksamkeit und keinen Augenkontakt herstellt bzw. den grünen Knopf nicht drückt. Dann kommt keine Verbindung und erst recht keine Verständigung zustande.
Die Folge der anhaltend wechselnden Bilder, die gerade kleinen Kindern kaum eine Chance zur Strukturierung der Eindrücke lassen, sind Wahrnehmungsstörungen, fehlende Frustrationstoleranz (Spannung aushalten), Lerndefizite, insbesondere Sprachverzögerungen, Empathiestörungen (fehlendes Einfühlungsvermögen). Dabei spielt ein allgemein eingeschränktes Erkundungs- und Bewegungsverhalten eine Rolle, da sich der Radius in dem sich das Kind bewegt und denkt, durch die von außen vorgegebenen Inhalte vorgegeben ist. Eigenes neugieriges Entdecken und Erfinden, Lernen, sich anstrengen, scheinen nicht erstrebenswert – wie auch das Vorbild der Eltern (scheinbar) zeigt. Das ist so, weil sich das Kind selbst (mit dem begehrten Spielzeug in den Händen) weniger bewegt, aber auch, weil ihm die Sicherheit fehlt, dass die Eltern es im Blick haben und es sich sicher fühlen kann.

Hilfreich sind gemeinsam eingehaltene Rituale, die auch die kleine Welt der Kinder überschaubar und einschätzbar macht, Strukturen entwickeln lässt, die Orientierung geben. Das könne zum Beispiel sein: kein Handy beim Essen, im Schlafzimmer / Kinderzimmer, in Fahrzeugen, beim Nachhause kommen oder beim Filme schauen. Symbolisch könne man zusammen mit dem Kind das Handy zum Schlafen hinlegen und es außer Sicht- und Hörweite in eine Kiste legen. Auch auf dem Spielplatz wie in der Schule kann das Handy in der Tasche bleiben.
„Allezeit bereit“ muss nicht und ist auch nicht gesund!
Experimente haben gezeigt, dass allein die Anwesenheit eines Handys im Raum, kaum merkliche, aber messbaren chronischen Stress auslöst, selbst wenn es keine Signaltöne abgibt.

Anregende Quelle: Gießener Anzeiger, 08. 06. 2020

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Kindergesundheit

“Wann sind wir endlich da?” – Reisen mit Kindern

Foto: Lindemann

Kaum eine Frage wird wohl während einer Autofahrt mehr gestellt als die obige.
Oft lautet die Antwort: “Noch lange nicht.”
Damit die Fahrt dennoch nicht zu einer stressigen und schlimmen Erfahrung wird, hier einige Tipps:

  • Weniger ist mehr
    Fahren Sie nicht mehr als 300 bis max. 500 km am Tag. Fahren Sie nicht, wenn Staugefahr besteht.
  • Sicher ist sicher
    Kinder unter 12 Jahren oder 150 cm Körpergröße müssen im Kindersitz gesichert sein.
    Dieser sollte gut gepolstert sein und eine bequeme Schlafposition zulassen.
  • Proviant
    Gut gestärkt ist die Stimmung meist besser; Also vor der Abfahrt eine Kleinigkeit essen.
    Zudem sollte man ausreichend Verpflegung mitnehmen. Bekanntlich macht Reisen hungrig.
    Geschickt sind Speisen, die nicht krümeln und Trinkbecher die nicht tropfen.
  • Trinken
    Während der Fahrt besser keine kohlensäurehaltigen Getränke, sie können leicht auf den Magen schlagen. Wasser, Tee und Saft sind meist verträglicher.
  • Vorsicht Verschlucken
    Kleinkinder sollten nur während der Pausen Essen bekommen. Im Auto besteht die Gefahr, dass sich ein Kind, z.B. bei einer starken Bremsung, verschluckt oder sich am Fläschchen oder Löffel verletzt.
  • Kontrollblick
    Statt sich vom Beifahrersitz ständig umzudrehen, empfiehlt sich die Montage eines zweiten Innenspiegels, um die Rückbank gut im Blick zu haben.
  • Ich sehe was, was du nicht siehst
    Langeweile ist der größte Stressfaktor.
    Außerdem sollten die Kleinen nicht zu lange nach unten schauen, da das Schaukeln ohne Sichtkorrektur oft zu Übelkeit führt. Lesen und Spielen am Handy oder anderen Medien sind während einer Autofahrt für viele also keine wirklich gute Option. Hörbücher und Ratespiele eignen sich besser. Ältere Kinder können Autokennzeichen raten oder daraus Wörter sammeln (z.B. DA-CH,, GI-FT, F-AN). Wer findet die meisten? Wer kann daraus Sätze bilden oder eine Geschichte erzählen?
  • Board-Entertainment
    Wenn Tablet, DVD-Player oder Labtop während der Fahrt nicht in Betrieb sind, müssen sie sicher verstaut werden. Bei einem Unfall können sie sonst zu Geschossen werden.
  • Nicht ohne Spucktüte
    Falls der Magen doch einmal rebelliert, sind schnell griffbereite Spucktüten hilfreich. Vor der Fahrt kann man auch Placebos gegen Übelkeit geben (ein Stück Würfelzucker mit etwas Tee aus einer braunen Tropflasche wirkt Wunder).
  • Mach mal Pause
    Wer mit Kindern in Urlaub fährt, muss genügend Pausen einplanen und einhalten, möglichst alle 1,5 Stunden. Autobahnraststätten mit Kinderspielplätzen eignen sich besonders, damit die Kinder ihrem Bewegungsdrang nachgeben können.
  • Stinker-Alarm
    Auch wenn es noch so dringlich sein mag, Babies und Kleinkinder NIE während der Fahrt wickeln. Sollte eine akute Notbremsung notwendig sein, fliegen die unangeschnallten Personen, der Fliehkraft folgend, weiter in Fahrtrichtung durch das Auto, während das Fahrzeug schon entschleunigt ist. Beim dann heftigen Aufprall können schwere Verletzungen entstehen.
  • Was ist mit der Langeweile am Urlaubsort?
    Rechtzeitig sollte man sich in Reiseführern informieren, was es an Sehens- und Erlebenswertem in der Urlaubsgegend gibt. Es gibt spezielle Reiseführer für Familien mit Kindern. Manche bieten kindgerechte Texte zum Vor- oder Selbstlesen, in denen die Highlights beschrieben werden. So z.B. das Torset family des ADAC, das auch digital als App zu haben ist.

Quelle: Grashüpfer – Für Familien in Gießen, Wetzlar und Umgebung, Juli/Aug./Sept. 2020

Regeln lernen – auch ohne „Nein, nein“

Besser auf Augenhöhe: Statt aus dem Nebenzimmer zu schimpfen, sollten Eltern Kindern konkret erklären, dass etwa alle Spielsachen vom Boden in die Kiste sollen.
Bild: Lindemann

Das Kind sollte längst in der Kita sein, denn die Arbeit ruft. Doch der kleine Trotzkopf zieht sich einfach nicht an. Jetzt bloß nicht schimpfen, sagt eine Expertin. Denn das frisst nur noch mehr Zeit.

„Verdammt noch mal, wie oft soll ich es dir noch sagen?!“ Wie viele Kinder hören diesen blöden Spruch tagein, tagaus von ihren gestressten Eltern.
Aber wahrscheinlicher ist, dass sie den Text gar nicht hören – weil er in ein Ohr reingeht und zum anderen wieder raus. Nein, die Kinder lernen an der Stelle vor allem, dass dieser Ton und diese Lautstärke OK sind. Hier passiert sehr schnell „Lernen durch Nachahmen“ und kaum eine Zeit später, bekommen die Eltern das Echo dieser eigenen „Ungezogenheit“, der fehlenden Ruhe und Gelassenheit, des fehlenden Nachdenkens und Reflektierens über das eigene Tuns, zurück.

Warum bringt Schimpfen nichts?
Nicola Schmidt: „Sobald man schimpft, verliert man den Kontakt zum Kind.
Mal angenommen, man würde einen Partner oder einen Kollegen kreischend anblaffen, wie oft man ihm etwas noch sagen solle. Der würde doch auch sofort dicht machen.

Als sehr hilfreich sehe ich (Dr. med. Alfons Lindemann, ärztl. Psychotherpeut) hier das Modell einer Ampel: steht die Ampel auf Grün (man ist entspannt und gelassen, rational), darf man fahren bzw. handeln. Bei Gelb (das ist man schon emotionaler) gilt Achtung, bitte bleib in einem Bereich, den du noch regulieren kannst. Bei Orange-Gelb wird es schon sehr kritisch und bei Rot muss man sich in jedem Fall stoppen. Verlassen Sie die Situation, beenden Sie jede Diskussion. In diesem Zustand – bis die ausgeschütteten Hormone nach ca. 20 – 30 Min. aus dem Blut sind – ist nur noch Eskalation möglich. Da ist man von der Dynamik des Geschehens versklavt!
Denn dann wechselt der Modus der Alltagslogik, in dem man kreativ denken kann, in den Modus der Affektlogik. Dort herrschen nur noch archaische, uralte Instinkte, die dazu ausgelegt waren, vor einem Fressfeind zu fliehen oder sich im verwegen mit äußerster Aggression entgegenzustellen … oder, wenn gar nichts mehr geht, sich tot zu stellen, nichts mehr zu merken.

Es gibt Situationen, da fühlen sich Eltern unter Druck. Damit dann etwas vorangeht, scheint Schimpfen der einzige Ausweg.
Es ist jedoch ein Zustand in dem der Erwachsene selbst in Panik ist, keine Lösung, keinen Ausweg mehr sieht, außer aggressiv vorzugehen, zu Schreien, sich in Drohgebärden zu ergehen oder gar wirklich gewalttätig zu werden. (Letztlich möchte man den anderen ja erreichen!) Aber diese Umgangsformen können auch vom Gegenüber nicht mehr als im Grunde genommen nützlich und sinnvoll aufgefasst werden.
Wenn Sie das also merken, sind Sie schon im roten Bereich. Das ist für den Erwachsenen ein klares STOPP-Zeichen!
Was immer das Kind dann tut. Das eigen Gefühl spiegelt hier in der Regel den emotionalen Zustand des Kindes: beide fühlen sich in Not und reagieren nur nach den Gesetzten der Affektlogik, also irrational = ohne Vernunft. Hier regiert unser Reptiliengehirn, vom menschlichen Bewusstsein ist nun kaum etwas übrig! Beide brauche dringend Beruhigung und Trost, Verständnis und Hilfestellung oder zumindest Abstand, um nicht mehr mit dem bedrohlichen Gegenüber (das mir seine Sicht der Welt aufdrängen will) konfrontiert zu sein.

Schmidt: „Wenn Eltern gestresst sind, schalten sie in den Alarmmodus.
Viele Verhaltensweisen der Kinder erscheinen dann als Bedrohung, die man nur eindämmen müsse, damit Kinder funktionieren. Doch unter Dauerstress fällt es uns schwer, mit den Kindern mitzufühlen.“

Wie reagieren Eltern im Idealfall mitfühlend?
Schmidt: Wie oft rufen Eltern aus dem Nachbarzimmer vier, fünf, sechs, sieben, acht Mal Anweisungen wie: „Räum deine Legokiste ein!“ „Zieh dich an!“, „Putz die Zähne!“
Das hören Kinder gar nicht. Dazu sind sie viel zu vertieft.
Statt wie eine Schallplatte zu klingen, ist es besser, direkt zu dem Kind zu gehen.

Lindemann: Dort lässt sich die Situation besser einschätzen, um eine kreativen Ausweg aus einer Situation zu finden, die beiden oder der Situation, die der Erwachsene besser überblickt und auch durchzusetzen und zu verantworten hat. (Viele Eltern scheuen heute einen Konflikt. Doch auch den brauchen die Kinder so notwendig, wie das eingebettet sein in die Liebe der Eltern, in deren Vertrauen und Zutrauen.)
Nur im direkten Kontakt mit dem Kind kann man Augenkontakt aufnehmen. (In Ihr Handy sprechen Sie ja auch nicht, bevor sie die Nummer gewählt und den „grünen Knopf“ gedrückt haben, das Gegenüber sich gemeldet hat, oder?) Und dann?
Schmidt: Dann hockt, kniet oder setzt man sich auf gleiche Augenhöhe und berührt das Kind.
Beim Sprechen nicken, lächeln und klar machen „Ich kenne das auch, dass man manchmal nicht Schluss machen möchte, ich möchte jetzt, dass wir…“.
So kann sich das Kind ernst genommen fühlen, statt von oben herab behandelt.
Wichtig ist auch, persönlich zu bleiben. Man sollte nie sagen: „Das macht man nicht“. Stattdessen kommt es besser an, etwa zu sagen: „Ich will, dass du nicht kippelst. Das ist mir zu unruhig.“
Lindemann: Diese sogenannten „Ich-Botschaften“ machen Aussagen verbindlich und nachvollziehbar. Das ist das allgemeine „Gedoodel“ mit einem unpersönlichen „man“ oder „Du“-Zuschreibungen nicht (denn bei den „Du-bist-Sätzen“ fehlt immer der Vorspann: „ich finde, Du bist …“. Es ist nämlich nie eine objektive Aussage, sondern immer eine von mir subjektiv getroffene Zuschreibung. Und Ihr schlaues Kind weiß das intuitiv.

Frau Schmidt schlägt vor, das Wort „Nein“ zu verbannen und dafür eine Ja-Umgebung zu schaffen. Wie soll das funktionieren?
Schmidt: Wenn man dem Kind immer nur „Nein, Nein“ sagt, lernt es keine Regeln.
Auch wenn Sie umgekehrt verbreiten, das Kind solle „lieb“ sein; was soll ein Kind darunter verstehen?
Lindemann: Sagen Sie doch einfach, was Sie wollen oder was Ihnen als Regel wichtig ist.
Schließlich sind Sie als Eltern die gesetzlich Erziehungsberechtigten (wie es irrtümlich so schön heißt). Nein wirklich, Eltern sind Erziehungsverantwortlich, d.h. anleitend – auch wenn alle sich immer gegenseitig „erziehen“ und gerne die Dinge wiederholen, die funktionieren, die Spaß machen, also emotional besetzt werden können, oder zumindest regelmäßig vorkommen.

Wie geht ein „empathisches Nein“?
Schmidt: Angenommen das Kind will unbedingt noch eine spätere Sendung sehen. Statt sich ein Nein-Doch-Gefecht zu liefern kann man entgegnen: „Ich höre dich. Es geht nicht. Aber was ist so cool oder lustig an der Sendung?“ Und dann ist man im Gespräch über die Sendung und nicht mehr über das Ja-oder-Nein. Oder Sie lenken das Gespräch auf die Regel und den Sinn dessen. Oder Sie fragen einfach mal nach dem Grund, warum es dem Kind so wichtig ist und hören zu. Das kann sehr helfen, eine bessere Verständigung und ein besseres Verstehen zu ermöglichen.
Oder wenn Kinder kurz vor dem Abendessen wilde Dinge vorschlagen, wie jetzt noch kurz ins Schwimmbad zu gehen. Eine Erziehen-ohne-Schimpfen-Reaktion wäre z.B.: „Eine tolle Idee! Würde ich auch gern. Aber hast du eine Idee, wie wir das in einer Stunde schaffen können, ohne uns total abzuhetzen?“ So erkennt man die Idee an und kann zusammen überlegen, warum das nicht klappt oder ob es alternative Möglichkeiten gibt. Denn sehr wahrscheinlich gibt es einen (zumindest im kindlichen Kopf) sinnvollen Beweggrund, der Ihr Kind auf die Idee gebracht hat.

Viele Eltern kennen das: Gehetzt holen Sie ihre Kinder von der Kita ab und haben schon die nächste Aktion im Kopf: Jetzt noch schnell Einkauf, Paket abholen, Reinigung…
Lindemann: Übersetzt heißt das: sie sind nicht da, wo sie sind, nicht Hier und Jetzt, sondern gedanklich schon Da und Dort … allerdings, ohne auf Da und Dort im Hier und Jetzt schon Einfluss nehmen zu können. Dafür aber verpassen Sie das, was ist. … und das vermutlich mehrfach, wenn das Muster nicht erkannt und unterbrochen wird. Zu spüren ist solch ein Verhaltensmodus meist an Unzufriedenheit, Unausgeglichenheit, Schlafstörungen, Lustlosigkeit, Sarkasmus, negativem Gedankenkreisen usw.

Schmidt: …und da wundern Sie sich, dass die meiste Zeit mit Quengeln, Schreien, Wutanfällen und Schimpfen über die Bühne geht? Nicht wirklich, oder?
Ich rate immer: Erstmal nach der Kita eine halbe Stunde Zeit zum Kuscheln nehmen, bevor man irgendwas anderes macht. Glauben Sie mir: Das geht schneller und ist gut investierte Zeit.
Unter dem Motto: Zeit „verlieren“, um viel mehr „Zeit zu gewinnen“.
Lindemann: Lustiges Motto, wo der Tag doch immer gleich 24 Stunden hat! Wo soll da der Gewinn herkommen? Es kann also kein Zeitgewinn entstehen! Setzt man die Prioritäten jedoch anderes, so dass man präsent, also im Präsens, im Hier und Jetzt, ist, so gibt es einen erheblichen Gewinn an Da-Sein, am miteinander sein können,an befriedigenden Erlebnissen, weil es echten, gefühlten Kontakt gibt.

Quellen: Nicola Schmidt: Erziehen ohne Schimpfen, Gräfe und Unzer, 176 Seiten, 16,99 Euro, ISBN-13: 978-3-8338-6856-6.
https://www.nwzonline.de/familie-meldungen/schimpfen-bringt-nichts-wie-kinder-regeln-am-besten-lernen_a_50,5,2348186408.html
Gießener Anzeiger, 9.9.2019
Lindemann: eigene Erfahrungen und theoretisches Wissen darum, wie unser Gehirn so funktioniert.Schlagwörter: Ampel-ModellAugenkontaktErziehen ohne SchimpfenRegeln lernen

Wutanfälle bei Kindern

Foto: pixabay

JLU-Psychologin Anne Herr referierte unter dem Titel “Friede, Freude, Wutausbruch” in der Veranstaltungsreihe “WissenSchaft Gesundheit” zum Verhaltensmuster aggressiver und trotziger Kinder
und hielt Tipps für Eltern bereit. (Bericht von Jasmin Mosel, Gießener Anzeiger, 06.06.2020)

Viele werden das kennen: vor dem Schlafengehen oder in Situationen, in denen die Eltern anderer Meinung sind oder im Laden Wunsche nicht erfüllen wollen, das Kind übermüdet oder überdreht ist, usw.
Das Kind schreit, schlägt, spuckt, tritt, wirft mit Gegenständen oder sich auf den Boden – ist verzweifelt.
Sein Selbstbild ist in Gefahr, ebenso wie seine Größenphantasien frustriert wurden.

Einerseits ist wütendes und rebellisches Verhalten vom 1. bis 4. Lebensjahr wie auch in der Pubertät weit verbreitet und gehört zur typischen Entwicklung von Kindern. Sie müssen üben, für ihre Interessen einzustehen, ebenso wie sie lernen müssen, richtig zu streiten und mit Enttäuschungen umzugehen. Es ist also alterstypisches Verhalten, um das man sich keine großen Sorgen machen muss. Es wächst sich aus.
Allerdings spielt es eine große Rolle, welches Vorbild die Eltern vorleben, wie entspannt und verständnisvoll sie mit ihrem Kind umgehen; welche Hilfestellung sie anbieten, um einen Weg durch die Notfallsituation zu finden.

Anderseits sieht es ganz anders aus, wenn das Verhaltenmuster des Kindes in der Familie zu anhaltendem Leidensdruck führt; wenn von Extremausprägung und überaus heftigen Situationen auffälliger Wutanfälle *) zu sprechen ist.
Hier könnte eine psychische Störung mit deutlichem Abweichen von Denken, Fühlen, Verhalten vorliegen, die ärztlich-psychologisch abgeklärt werden sollte.
Ca. 3 % der Kinder zeigen durchgängig eine ärgerliche und gereizte Stimmung, zum Teil von Geburt an.
Bei ca. 2 – 10 % wird eine Störungen des Sozialverhaltens diagnostiziert, wobei immer wieder gesellschaftliche Normen ignoriert werden. Streit- und Rachsucht führen zu Beeinträchtigungen im Umfeld, in Kindergarten und Schule. Jungen da dreimal so häufig betroffen, wie Mädchen.
Frühzeitiges Eingreifen ist hier unbedingt notwendig, um korrigierend helfen zu können, damit sich das Muster erst gar nicht verfestigt und eine Abwärtsspirale verhindert werden kann.

Eltern wollen da oft “Ursachen” finden, fürchten, selbst “Schuld” am Verhalten des Kindes zu sein. Doch es können biologische, psychologische und soziale Risikofaktoren auffälliger machen und in Kombination mit einem Stressereignis psychische Erkrankungen begünstigen. In der Regel kommen verschiedene Dinge zusammen, so dass eine einzelne “Ursache” meist nicht gefunden wird. Oft spielen Defizite in der Wahrnehmung, in der Gefühlserkennung, und damit im Verstehen der Welt eine Rolle.

*) Unter Wutanfall versteht man einen meist kurzzeitigen partiellen oder völligen Verlust der Kontrolle
über das Gefühl der Wut; man spricht hier vom Affekt.
Wutanfälle richten sich gegen Personen, Tiere, Institutionen oder auch Sachen und haben oft einen konkreten Auslöser,
der aber nicht zwangsläufig identisch mit dem Ziel der damit verbundenen Attacke sein muss.

Prinzipiell kann in Ausnahmesituationen und unter starkem Stress jeder Mensch einen Wutanfall erleiden,
wobei jedoch eine Neigung zu solchen bei Erwachsenen als cholerisch gilt.
Bei Kleinkindern gehören Wutanfälle in einer bestimmten Phase zur psychischen Entwicklung.

Ein Wutanfall kann absichtlich oder unabsichtlich evoziert werden.
Dazu genügen oft schon kleine Reizworte oder Handlungen, die für sich genommen eigentlich keine Bedeutung hätten. Neben dem externen Auslöser gibt es auch die Möglichkeit, sich selbst in einen Wutanfall zu steigern.

Zu differenzieren sind Aggression und Destruktion

Quelle: Wikipedia

Weitere Berichte zum Thema finden sich z.B. auf folgenden Seiten:

https://www.oberbergkliniken.de/artikel/die-macht-von-unterdrueckten-gefuehlen-wie-sich-innere-wut-auf-die-psychische-gesundheit-auswirken-kann

https://www.liebenswert-magazin.de/was-bei-wut-mit-dem-koerper-passiert-2264.html