Legalisierung von Cannabis – Gesundheitsrisiken

Bislang ist der Verkauf von Cannabisprodukten zu Genusszwecken in Deutschland verboten. Die neue Ampel-Regierung will die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken einführen.
Es gehe dabei um Verbraucherschutz, Regulierung des Schwarzmarktes, Verhinderung von verunreinigten Substanzen, Entstigmatisierung von Konsumenten, Entlastung von Polizei und Justiz sowie um bessere Prävention wie auch um zusätzliche Steuereinnahmen.
Neben dem legalen Konsum von Alkohol (etwa 74.000 Todesfälle jährlich allein durch Alkoholkonsum) sind die bislang nur illegal zu erwerbenden Cannabisprodukte die verbreitetste Droge in Deutschland. Dabei hat sich der THC-Gehalt (Tetrahydrocannabinol) in den Pflanzenanteilen durch gezielte Zucht (also durch Mutationen – ähnlich wie beim Corona-Virus wild oder gezielt bei der Impfstoffherstellung) seit 2010 (6,8 %) bis zum Jahr 2020 (20,4 %) erhöht.
Entsprechend sind die ambulanten wie stationären Cannabis-Suchtbehandlungen gestiegen.
Deshalb sehen Ärzte die Legalisierung der Droge kritisch: Der 125. Deutsche Ärztetag warnte Anfang November 2021 vor einer Verharmlosung der Droge und vor den Risiken für die Gesundheit der Konsumierenden sowie den Folgen für die medizinische Versorgung. Insbesondere vor den Langzeiteffekten des Cannabiskonsums für Kinder und Jugendliche.

Aus medizinischer Sicht, also vor allem als Mittel gegen chronische Schmerzen, ist eine Abgabe von Cannabis erst ab einem Alter von 25 Jahren sinnvoll, wenn die Ausreifung des Stirnlappens im Gehirn abgeschlossen ist. (siehe Nachricht: Interessante neue Beiträge auf unserer Wissensseite)
Denn Studien zeigen, dass bei intensivem Konsum von Cannabis die Hirnentwicklung beeinträchtigt wird.

Bei akutem Konsum kommt es zu Rauschzuständen mit deutlichen Einschränkungen der Aufmerksamkeit, Störungen der Bewusstseinslage, der kognitiven Fähigkeiten, wie auch der Psychomotorik. Ursächlich dafür ist die zunehmende Konzentration des psychoaktiven Hauptwirkstoffes THC in einer immer breiteren Produktvielfalt.
Mit dieser Droge im Blut erhöht sich selbstverständlich die Gefahr von Verkehrsunfällen, insbesondere für unter 25jährige Fahrer, die die Einschränkungen durch den Konsum nicht durch Fahrpraxis ausgleichen können.

Bei längerzeitigem Konsum kommen weitere Gesundheitsrisiken hinzu, insbesondere Atemwegserkrankungen, Hodenkrebs, hirnstrukturelle Veränderungen (=> unreif bleiben) sowie Auswirkungen auf die Entwicklung ungeborenen Lebens bei Konsum in der Schwangerschaft, sowie die Ausbildung von psychischen Störungen, von Angststörungen, Psychosen, Bipolaren Störungen (manisch-depressiv), Depressionen und Suizidgedanken.
Bei frühem Konsum vor dem 15. Lebensjahr werden geringere Bildungserfolge gesehen; und bei häufigem Konsum von Drogen allgemein werden in Studien höhere Schulabbruchraten, geringeres Einkommen, gehäufte Arbeitslosigkeit sowie Bezug von Sozialleistungen beschrieben.

Cannabisabhängigkeit ist eine Suchterkrankung. Nach Entzugsbehandlungen und bei anhaltender Abstinenz, so habe sich gezeigt, können Veränderungen am Gehirn reversibel (umkehrbar) sein.

Die Legalisierung von Cannabis, so wird von Suchtberatungsstellen erwartet, wird zu einem erhöhten Konsum und Missbrauch auch durch Kinder und Jugendliche führen. Jugendschutz ist hier eine Illusion, denn das Signal der Legalisierung und damit Verharmlosung der Drogen, wird – auch bei einer Altersbeschränkung im Verkauf – zu einem Durchreichen an Jüngere führen.
Bei US-Staaten lagen nach Legalisierung der Drogen die Konsumquoten um 30 bis 60 % höher. Auch in Kanada, Portugal oder Uruguay z.B. sei der Konsum nach der Legalisierung deutlich angestiegen. Zugleich ging die Risikowahrnehmung von Cannabis in diesen Staaten seit der Legalisierung deutlich zurück. Bei den 12 – 17jährigen liegt die Zahl der diagnostizierten Angststörungen, Psychosen und Depressionen um 25 % höher als in anderen Bundesstaaten der USA.
In den Niederlanden liegt der Konsum in der Altersgruppe der 15 – 34jährigen mit 15,5 % in etwa beim europäischen Mittelwert.
In einem anderen Ländervergleich gibt es Hinweise auf eine Zunahme cannabisbedingter Krankenhausaufnahmen nach Legalisierung, cannabisbeeinflusster Selbstmorde und tödlicher Verkehrsunfälle.

Nur begrenzt sei über die Legalisierung der Schwarzmarkt zu regulieren; der wird neue kreative Absatzwege und neue Drogen finden.
Das Gesetz zur Cannabislegalisierung will die neue Bundesregierung nach 4 Jahren “auf gesellschaftliche Auswirkungen” evaluieren (sach- und fachgerecht beurteilen). Man darf darauf gespannt sein.

Cannabis-Freigabe in den Niederlanden: Vorläufige Auswertung Niederländische Drogenpolitik

Quelle: Deutsches Ärzteblatt, Jg. 118, Heft 49, 10.12.2021, S.2326-2328

Jesus hätte auch ein Mädchen, oder oder werden können – Teil 1

Dieser Artikel ist um Weihnachten herum entstanden, daher erklärt sich der Titel.

Gerade die Weihnachtszeit, in der wir uns symbolisch auf die Ankunft eines Kindes freuen und die Wiedergeburt des Lichtes mitten im Winter feiern, scheint mir ein geeigneter Anlass, mich diesem Thema, das so Vorurteilsbehaftet ist, zuzuwenden und Aufklärung zu betreiben.

HO HO HO

Nach langem Sträuben und Verleugnen hat der Gesetzgeber 2018 endlich offiziell anerkannt, dass es mehr als zwei “Geschlechter” gibt – wobei ich finde, dass es zwei “Gegute” heißen müsste, was automatische andere und freundlichere Assoziationen hervorrufen würde. Traditionell aber, vor religiösen Hintergründen, wurden körperliche Belange, assoziiert mit weiblich, als schmutzig und nieder gewertet, im Vergleich zu, verknüpft mit männlich, Geistigem und Tanszendentem (jenseitigem).
Unsere Körper, unsere biologische Natur, ist aber nun mal die Basis unseres Lebens, das wir identifiziert mit bestimmten Daseinsmustern verbringen. Die Natur, wie auch unsere Kultur, bringen nun unterschiedliche Daseinsformen hervor, die hier aus medizinischer wie aus psychologischer Sicht näher angeschaut werden können:

Die biologischen Bedingungen im Frau Inter Trans Mann – Werdeprozess

In den Frühstadien seiner Entwicklung trägt der Säugetierembryo das Potential (die Anlage) zur männlichen wie zur weiblichen Form in sich.

Lithograph by J. G. Bach of Leipzig after drawings by Haeckel, from Anthropogenie published by Engelmann – Nick Hopwood. “Pictures of Evolution and Charges of Fraud:: Ernst Haeckel’s Embryological Illustrations”, Isis 97 (2006), 260-301 

Die anfänglich undifferenzierten Keimdrüsen (Gonaden) entwickeln sich entweder zu Hoden oder zu Eierstöcken, je nach dem genetischen Kode, den die unterschiedlichen Erbanlagen (Chromosomen) der männlichen 46, XY- oder der weiblichen 46, XX-Gene bilden.
Dennoch verläuft diese Differenzierung (Unterschiedsbildung), ungeachtet der genetischen Programmierung, stets in Richtung der weiblichen Form, sofern nicht die erforderlichen Testosteronspiegel (ein Sexualhormon) im Blut der Mutter und damit des Kindes gegeben sind. Mit anderen Worten: selbst wenn die Erbinformation mit XY-Chromosom männlich ist, führt eine zu geringe Menge am Sexualhormon Testosteron zur Ausbildung weiblicher Geschlechtsmerkmale. Das Prinzip der Feminisierung hat dann Vorrang gegenüber der Maskulinisierung.

Videos zur Anatomie der Geschlechtsorgane

Beim Menschen sind die primitiven, urtümlich Keimdrüsen ab der 6. Schwangerschaftswoche auszumachen, wenn beim männlichen Embryo unter dem Einfluss des genetischen Kodes testikuläre, also vom Hoden kommende, Hormone ausgeschüttet werden.
Messbar sind dann zum Einen der Müllersche Hemmstoff, der eine hemmende Wirkung auf die normale weibliche Entwicklung der Gonaden ausübt und zum Anderen das Testosteron, das das Wachstum innerer und äußerer männlicher Organe fördert; insbesondere die Entwicklung der beidseitig angelegten Wolffschen Gänge (der Ur-Nierengänge).
Liegt ein weiblicher Gencode vor, setzet in der 12. Schwangerschaftswoche die Ausdifferenzierung der Eierstöcke (Ovarien) ein. Im Verlauf der normalen weiblichen Entwicklung wird aus den primitiven Müllerschen Gängen die Gebärmutter (der Uterus), die Eileiter und das innere Drittel der Vagina.
Bei Männern dagegen entwickelt sich das System der Müllerschen Gänge zurück, während sich das System der Wolffschen Gänge ausbildet und zu Samenleiter, Samenblasen und Ausspritzungsgängen wird.

Während also die inneren Vorläufer sowohl von männlichen als auch weiblichen Geschlechtsorganen zur möglichen Entfaltung bereitliegen, sind die Vorläufer der äußeren Genitalien unitypisch; das heißt, dieselben Vorläufer können sich entweder zu männlichen oder zu weiblichen äußeren Geschlechtsorganen entwickeln.
Sind während der kritischen Phase der Unterschiedsbildung ab der 9. Schwangerschaftswoche keine passend hohen männlichen Sexualhormone (Androgene: Testosteron und Dihydrotestosteron) gegeben, kommt es zur Entwicklung von Klitoris, Vulva und Vagina. Sind die Hormonspiegel passend hoch, bilden sich Penis mit Eichel und Hodensack. Bei normalem Verlauf entwickeln sich die Hoden innerhalb es Bauchraumes (Abdomen) und wandern während der 9. Schwangerschaftswoche an ihre Position im Hodensack (Skrotum).

Nachdem die Entwicklungsrichtung von inneren und äußeren Genitalien festgelegt ist, verläuft – unter dem Einfluss der im vorgeburtlichen (fötalen) Kreislauf zirkulierenden fötaler Hormone – die Entfaltung bestimmter Hirnbereiche dimorph
(Als dimorph bezeichnet man in der Biologie das Auftreten in zwei verschiedenen Formen der selben Gattung.)
Das Gehirn ist ambitypisch angelegt, also typischerweise ambivalent, doppelsinnig, zwiespältig, widersprüchlich; und auch hier setzt sich die Entwicklung weiblicher Charakteristika durch, wenn kein adäquater Spiegel an vermännlichenden Hormonen im Blut zirkulieren.
So kommt es zur jeweils spezifischen (unverkennbaren) Ausgestaltung von Funktionen im Hypothalamus und in der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse), die sich bei Frauen hin zum Zyklischen (wiederkehrenden, periodischen) und bei Männern hin zum Nichtzyklischen ausformen. Diese Differenzierung des Gehirns hin zum weiblichen oder männlichen Typus erfolgt im 3. Schwangerschaftsdrittel (27. -40. Schwangerschaftswoche), nachdem die Unterschiedsbildung der Geschlechtsorgane stattgefunden hat. Vermutlich setzt sich diese Entwicklung während der ersten drei nachgeburtlichen Monate noch fort.

Bei Säugetieren, die keine Primaten sind, legen die vorgeburtlichen hormonellen Unterschiede im Gehirn die Struktur des späteren Paarungsverhaltens fest.

Bei Primaten, wozu auch wir Menschen gehören, hingegen sind frühe soziale Kommunikation und soziales Lernen von vorrangiger Bedeutung für die Ausformung des Sexualverhalten.

Die Steuerung tatsächlichen Paarungsverhaltens ist daher weitgehend von den frühesten sozialen Interaktionen, von den wechselseitigen Formen des Miteinander, abhängig. Dabei reagiert das Kind schon auf kleinste Reize und Stimmungen, auf die Art, wie es gehalten wird, auf das Leuchten in den Augen der Bezugspersonen, auf angemessene Versorgung seiner Bedürfnisse, auf lustvolle Stimulation seiner Haut, ob die Mutter still oder eine Flasche anbietet, usw., ob es sich bedroht oder geborgen fühlt.

Die Ausgestaltung der sekundären (sich später entwickelnden) Geschlechtsmerkmale während der Pubertät – Verteilung von Körperfett und Haarwuchs, Stimmbruch und Stimmwechsel, Entwicklung der Brüste, starkes Wachstum der Genitalien – wird von zentralnervösen Wirkfaktoren in Gang gesetzt und durch einen bedeutsamen Anstieg an im Blut zirkulierenden Andogenen oder Östrogenen gesteuert, ebenso wie die spezifischen weiblichen Funktionen von Menstruation, Schwangerschaft und Milchbildung.

Ein hormonelles Übergewicht kann die sekundären Geschlechtsmerkmale verändern.

Bei Jungen und Männern kommt es durch Androgenmangel, also einem Mangel an männlichen Geschlechtshormonen, zu Gynäkomastie (Brustdrüsenvergrößerung beim Mann), bei Mädchen und Frauen führt ein Androgenüberschuss zu Hirsutismus, also zur Ausbildung eines männlichen Behaarungstyps, zu einem Tieferwerden der Stimme und Vergrößerung, also Hypertrophie der Klitoris. Ob sich Veränderungen im Hormonspiegel auch auf das Verlangen und Sexualverhalten auswirken, ist wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt. Klar ist, dass sich bei Männern das sexuelle Verlangen bei unzureichender Verfügbarkeit von Androgenen verringert – bis hin zur sexuellen Apathie; bei normalem oder erhöhtem Spiegel an zirkulierenden Androgenen bleibt das Verlangen und Verhalten aber bemerkenswert unabhängig. Führt man bei niedrigem Androgenspiegel künstliches Testosteron zu, normalisiert sich das sexuelle Verlangen und Verhalten. Rollenverständnis und Selbstbild scheinen hier zudem wirksam zu sein.
Ähnlich zeigt sich in Studien an Frauen, dass zwar direkt vor und nach der Menstruation das sexuelle Verlangen gesteigert ist, dass dies aber nur unwesentliche Schwankungen der Hormonspiegel sondern viel stärker von psychosozialen Reizen abhängt. Insgesamt, im Gegensatz zu anderen Säugetieren, liegt das Schwergewicht der sexuellen Erregung (Arousal) beim Menschen eindeutig auf psychosozialen Determinanten (Bestimmungsgrößen, Faktoren).

https://www.kreis-freising.de/fileadmin/user_upload/Aemter/Amt_fuer_Jugend_und_Familie/Besondere_Fachdienste/Koordinierende_Kinderschutzstelle/Koki_Vortrag_Reck_Depressinen_Angststoerungen_2015.pdf

Wenn wir uns die Entwicklung der menschlichen Geschlechtsmerkmale anschauen und auf der biologischen Stufenleiter verfolgen, stellen wir also fest, dass die psychosoziale Interaktion, sowohl ganz früh im Zusammenspiel von Säugling und seinen versorgenden Menschen, insbes. der Mutter, wie auch später eine zunehmend wichtige Rolle bei der Ausformung des erwachsenen Verhaltens – auch des Sexualverhaltens – spielen. Im Verhältnis dazu tritt bei uns Menschen die Steuerung durch genetische und hormonelle Faktoren klar zurück, auch wenn Adnrogene die Intensität des sexuellen Verlangens und des Sexualverhaltens bei Frauen wie bei Männern beeinflussen können. Dabei legen die biologischen Befunde nahe, dass sexuelle Verhaltensweisen, die normalerweise typischer für das eine Geschlecht sind, als Möglichkeit (Potential) auch im anderen Geschlecht vorhanden sein können.
Dennoch sind die Intensität des sexuellen Arousal, die Einengung der Aufmerksamkeit auf sexuelle Reize und die physiologischen Reaktionen sexueller Erregung – gesteigerte Blutzirkulation, Tumeszenz, Lubrikation von Geschlechtsorganen – allesamt hormonell gelenkt.

Foto: Lindemann; u.a.
Quelle: Otto F. Kernberg, Liebesbeziehungen – Normalität und Pathologie, Klett-Cotta, 2014 – Übersetzung Christoph Trunk

Otto F. Kernberg ist Direktor des Personality Disorder Institute am New York-Presbyterian Hospital, Westchester Division und Professor für Psychiatrie am Weill Cornell Medical College, New York. Er war lange Präsident der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPA) und gilt als einer der bedeutendsten psychoanalytischen Forscher und Theoretiker.

Jesus hätte auch ein Mädchen, oder oder werden können – Teil 2

Die psychosozialen Faktoren im Frau Divers Mann – Werdeprozess

Weltweit finden sich in verschiedenen Zeitaltern und etlichen Kulturen Alternativen zur paarweisen Geschlechter-ordnung. Geschlechtliche Identität, wie auch Sexualität, können flexibel konstruiert sein.
Überliefe­rungen aus Babylonien verdeutlichen: Schon vor 4.000 Jahren wurde Menschen ein drittes Geschlecht zugestanden. Bei einigen nordamerikanischen Stämmen gab es bis zu sechs Geschlechter – biologische und soziale. Durch den Einfluss der christlichen Kolonialmächte verschwand diese Vielfalt.
Seit Dezember 2018 gibt es in Deutschland neben „weiblich“ und „männlich“ die dritte rechtliche Option “divers” (verschieden), die sich auf biologische Intergeschlechtlichkeit bezieht. Sofort änderten 2019 laut Redaktionsnetzwerk Deutschland knapp 1600 Menschen ihren Geschlechtseintrag auf Divers, viel mehr noch wechselten von männlich auf weiblich und umgekehrt. Auch in der Allgemeinbevölkerung rücken diese biologischen und psychologischen Fakten mit der Gender-Diskussion allmählich wieder mehr ins Bewusstsein.
Aufklärung, also Wissen ist da besonders wichtig, um Vorurteilen und schädlichen Phantasien entgegenzutreten.

https://www.uni-due.de/2020-12-16-warum-nur-drei-geschlechter

Bei der Geschlechtsidentität unterscheiden wir die sich entwickelnde
– Kern-Geschlechtsidentität, die festlegt, ob ein Mensch sich als weiblich oder männlich betrachtet.
Es wird davon ausgegangen, dass sie sich spätestens bis zum 2. Lebensjahr herausgebildet hat. 
die Geschlechtsrollenidentität, die sich aus den besonderen psychischen Einstellungen und zwischenmenschlichen Verhaltensweisen – allgemein wie auch spezifisch sexuellen sozialen Interaktionsmustern und Wechselwirkungen – ergeben, die entweder für Männer oder für Frauen charakteristisch sind und sie daher voneinander unterscheiden.
Hier geht man davon aus, dass die Phase zwischen dem 12. und 18. Lebensmonat für die Entwicklung besonders kritisch ist. 
die dominante Objektwahl bestimmt, ob die Wahl eines Sexualobjekts eine heterosexuelle oder eine homosexuelle ist und ob sie sich auf ein breites Spektrum sexueller Interaktionen mit dem Sexualobjekt richtet oder aber auf einen bestimmten Teil der menschlichen Anatomie oder ein nichtmenschliches oder unbelebtes Objekt (z.B. Fetisch).
die Intensität des sexuellen Verlangens spiegelt sich im Dominieren sexueller Phantasien, im Achten auf sexuelle Reize, im Verlagen nach sexueller Betätigung und in der physiologischen Erregung der Geschlechtsorgane wider.

Die Kern-Geschlechts-Identität

Beim Menschen wird die Kern-Geschlechtsidentität (das Empfinden des Individuums, entweder Mann oder Frau zu sein) nicht durch biologische Merkmale festgelegt, sondern durch das Geschlecht, das die Pflegepersonen dem Kind während der ersten 2 – 4 Lebensjahre zuweisen.
Selbst wenn Eltern unter normalen Umständen glauben, sie würden mit einem kleinen Jungen genau gleich umgehen wie mit einem kleinen Mädchen, legen sie geschlechtsbezogene Unterschiede im Verhalten gegenüber ihrem Säugling an den Tag.
Zwar gibt es Geschlechtsunterschiede, die auf der vorgeburtlichen Entwicklung beruhen, aber diese Unterschiede legen nicht automatisch fest, wie die Ausdifferenzierung des männlichen oder weiblichen Verhaltens nach der Geburt verläuft: Eine zur Feminisierung führende hormonelle Pathologie bei Jungen und eine zur Maskulinisierung führende hormonelle Pathologie bei Mädchen hat, außer bei extremen Ausprägungen hormoneller Abnormität, auf die Geschlechtsrollenidentität stärkeren Einfluss als auf die Kern-Geschlechtsidentität.
Bei Mädchen kann z.B. ein vorgeburtlicher Überschuss an Androgenen (männlichen Geschlechtshormonen) der Grund dafür sein, dass sie später jungenhaft wild (tomboys) sind und beim Spielen und bei aggressivem Verhalten mehr Energie umsetzen.
Bei Jungen kann eine unzureichende vorgeburtliche Androgenstimulation zu einer gewissen Passivität und einer schwach ausgeprägten Aggressivität führen, wirkt sich aber nicht auf die Kern-Geschlechtsidentität aus. Außerdem erwerben hermaphroditische Kinder (“Zwitter“), die eindeutig als Mädchen oder Jungen erzogen wurden, eine dementsprechende gefestigte Identität als Junge oder Mädchen, unabhängig von ihrer genetischen Ausstattung, von ihrem Hormonhaushalt oder sogar – in gewissem Maße – von dem äußeren Erscheinungsbild ihrer geschlechtlichen Entwicklung.
Selbst eine früh einsetzende (krankhafte) Pathologie der Kind-Eltern-Interaktion und -Beziehung wirkt sich nicht auf die Konsolidierung (Verfestigung) der Kern-Geschlechtsidentität aus. Es wurde nicht einmal ein Zusammenhang zwischen Transsexualismus (d.h. Bildung einer der biologischen Geschlechtsidentität entgegengesetzte Kern-Geschlechtsidentität bei den Personen mit klar definiertem biologischen Geschlecht – und genetischen, hormonellen oder genitalen körperlichen Normabweichungen) festgestellt.
Psychoanalytische Untersuchungen von Kindern mit abnormer, also von der erwarteten Norm oder dem Üblichen abweichenden sexueller Identität wie auch der Lebensgeschichte von transsexuellen Erwachsenen gibt Auskunft über die wesentlichen Grundmuster.

Eines davon ist, dass männliche Transsexuelle (die biologisch gesehen Männer sind, sich aber von ihrer Kerngeschlechtsidentität her als Frau erleben) typischerweise eine Mutter mit stark bisexuellen Persönlichkeitsanteilen haben, die Distanz zu ihrem passiven oder nicht verfügbaren Mann hält und ihren Sohn geradezu verschlingt, um au symbolischem (sinnbildlichem, figürlichem) Wege für sich selbst eine Vervollständigung herzustellen. Die paradiesische Symbiose schließt indirekt die Männlichkeit des Jungen aus und bringt ihn dazu, sich in übertriebener Weise mit der Mutter zu identifizieren, sich also mit ihr gleichzusetzen und sich in ihrem Verhalten wiederzuerkennen. Damit einhergehend wird die männliche Rolle abgelehnt, die für die Mutter nicht akzeptabel wäre und die der Vater unzureichend verkörpert.
Bei weiblichen Transsexuellen führen das abweisende Verhalten der Mutter und die Unerreichbarkeit des Vaters dazu, dass die Tochter, die sich in ihrer Rolle als kleines Mädchen nicht bestätigt fühlt, zu einem Ersatz-Jungen wird. Zugleich hilft sie damit unbewusst, die Einsamkeit und Depression der Mutter zu lindern. Das maskuline Verhalten wird von der Mutter unterstützt, deren Niedergeschlagenheit daraufhin abklingt; zugleich verstärkt das Verhalten des Kindes das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Familie.

Dass das Verhalten der Eltern gegenüber dem kleinen Kind (insbesondere die Mutter-Kind-Interaktion) Einfluss darauf hat, wie sich seine Kern-Geschlechtsidentität und seine sexuellen Funktionen insgesamt entwickeln, lässt sich nicht nur bei Menschen beobachten. Auch bei anderen Primaten lässt sich beobachten, dass eine angemessene Bindung zwischen Säugling und Mutter durch eine Geborgenheit bietende, engen Körperkontakt eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass sich beim erwachsenen Affen normale sexuelle Reaktionen entwickeln können.

Nach bisherigen Forschungsergebnissen können wir davon ausgehen, dass es frühzeitig eine Geschlechtsidentität gibt, die in der Regel entweder männlich oder weiblich ist; wobei davon auszugehen ist, dass schon die bewussten und unbewussten sexuellen Orientierungen der Eltern und ihre Erwartungen an ihr Kind dabei eine Rolle spielen. Zugleich ist bei beiden Geschlechtern eine psychische Bisexualität vorhanden, die sich aus der unbewussten Identifizierung mit beiden Eltern (so sein wollen wie sie) ableitet. Damit gehört bewusst oder unbewusst eine bisexuelle Orientierung zu den universellen menschlichen Möglichkeiten.

Für eine Kern-Geschlechtsidentifikation spielt es keine Rolle, “ob der Vater das Essen kocht und die Mutter den Trecker fährt”. Diese Geschlechtsrollen sind sozial definiert. Die eigene Kern-Ich-Identität entwickelt sich klar, solange die Geschlechtsidentitäten der Eltern deutlich voneinander unterschieden sind. Verstärkt werden Zuweisung und Übernahme einer Kern-Geschlechtsidentität in der Praxis, indem die auch die Geschlechtsrollen, die als männlich oder weiblich angesehenen werden, vom Umfeld bekräftigt werden.

Die Geschlechts-Rollen-Identität

Die Geschlechtsrollenindentität (die Identifizierung des Individuums mit bestimmten Verhaltensweisen, die in einer Gesellschaft als typisch für Männer oder Frauen gelten) ist stark von psychosozialen (zwischenmenschlichen) Faktoren beeinflusst.
(Psychosozial wird hier das auf das Erleben und Verhalten einer Person bezogen, insoweit es ihre Interaktion (=Wechselbeziehung) mit anderen Personen / Personengruppen oder/und Handlungen betrifft.)
Selbst die spätere Wahl des Sexualobjekts, das Ziel des sexuellen Verlangens, wird in starkem Maße von frühen psychosozialen Erfahrungen abhängig.

Sexualobjket, Foto: https://www.matthiaszehnder.ch/wochenkommentar/darf-man-das/

Alle Vorstellungen und Erwartungen an weibliche oder männliche Verhaltensmuster sind, neben den biologischen Voraussetzungen, von kulturellen, zeitgeschichtlichen und gesellschaftlichen Bedingungen bestimmt. Allerdings sind dabei manche Überzeugungen zur Geschlechtsunterschieden schlicht haltlos, manche sind wissenschaftlich recht gut abgesichert und manche harren noch der Klärung bzw. fallen in den Beobachtungen mehrdeutig aus.

Unhaltbar sind Überzeugungen wie “Mädchen sing geselliger und leichter zu beeinflussen als Jungen”, “Mädchen hätten eine geringes Selbstachtung, seien weniger leistungsmotiviert und besser im Auswendiglernen und bei monotonen Aufgaben” oder “Jungen seien besser bei anspruchsvolleren Aufgaben oder würden analytischer vorgehen” oder “Mädchen stünden mehr unter dem Einfluss von Erbanlagen, Jungen dagegen unter dem Einfluss der Umwelt”, “Mädchen seien eher auditiv (auf das Gehör bezogen), Jungen eher visuell (auf optische Wahrnehmung) orientiert”.
Zu den erwiesenen Geschlechtsunterschieden zählen derzeit, dass Mädchen größere verbale Fähigkeiten haben; Jungen häufiger bessere Ergebnisse bei visuell-räumlichen und mathematischen Aufgaben zeigen und dass sie aggressiver sind.
Noch nicht abgesichert sind Unterschiede in Bezug auf taktile Sensibilität, Schüchternheit und Ängstlichkeit, Aktivitätsniveau, Konkurrenzstreben, Dominanzstreben, Folgsamkeit, Fürsorglichkeit und “mütterliches” Verhalten.

Kultur- und artenübergreifend lässt sich sagen, dass männliche Individuen aggressiver sind und dass das Aggressionsniveau mit Sexualhormonen zusammenhängt.
Bei Mädchen die vorgeburtlich einem Androgenüberschuß (männliches Sexualhormon) ausgesetzt waren, fand sich ein mäßig ausgeprägter Zusammenhang zwischen diesem und der erhöhten Häufigkeit einer späteren homosexuellen Orientierung, doch bedeutsamer war, dass sich solche Mädchen im Vergleich zu Kontrollgruppen jungenhaft wild verhielten, weniger Interesse am Spiel mit Puppen zeigten und weniger Interesse daran zeigten, sich mit Säuglingen abzugeben, dafür aber Spielzeuge wie Autos oder Schußwaffen bevorzugten und lieber mit Jungen spielten.

Solche Ergebnisse legen nahe, dass das Geschlechtsrollenverhalten in der Kindheit von vorgeburtlichen (pränatalen) hormonellen Wirkgrößen beeinflusst wird; andere Befunde deuten darauf hin, dass die meisten Merkmale, in denen sich Jungen und Mädchen unterscheiden, aller Wahrscheinlichkeit nach kulturell bestimmt (determiniert, festgelegt) sind.

Schaut man sich z.B. das Erziehungsverhalten an, das zur Entwicklung von femininem Verhalten bei Jungen führt, sind Wirkfaktoren: Eltern, die gegenüber femininem Verhalten des Sohnes gleichgültig sind oder ihn dazu ermutigen; überbehütende Mutter, abwesender oder sich abweisend verhaltender Vater; kaum Jungen als Spielkameraden.
In Nachuntersuchungen einer Stichprobe solch femininer Jungen fand sich später ein hoher Prozentsatz an Bisexualität und Homosexualität. Allgemein lässt sich sagen, dass Verhaltensmuster, die eigentlich für das andere Geschlecht charakteristisch sind, verbinden sich oft, aber nicht notwendigerweise mit einer homosexuellen Objekt = Partnerwahl.

Die dominierenede Objekt(Partner)wahl

Die bevorzugten Idealbilder attraktiver, erregender Partner/innen leiten sich vermutlich aus Schemata (Mustern) ab, die nicht genetisch, sondern im Entwicklungsprozess im Gehirn angelegt sind und vor dem 9. Lebensjahr durch Umwelteinflüsse vervollständigt werden.

Noch immer scheint es in der westlichen Kultur weit verbreitete Widerstände zu geben, die Existenz einer kindlichen Sexualität zur Kenntnis zu nehmen. Kulturantropologisch (völkerkundlich) konnte gezeigt werden, dass Kinder, wenn derartige Tabus fehlen, spontan sexuelles Verhalten zeigen. Aber auch hierzulande lässt sich in Kindertagesstätten finden, dass Jungen etwa mit 6 – 7 Monaten und Mädchen mit 10 – 11 Monaten an ihren Genitalien herumzuspielen beginnen und dass das Masturbieren sich bei beiden Geschlechtern mach 15 – 16 Monaten durchgesetzt hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder aus der Arbeiterklasse sich selbst befriedigen, ist doppelt so hoch wie bei Mittel-schichtkindern – was darauf hindeutet, dass Klassenstruktur und Milieu das Sexualverhalten beeinflussen.

Schon Säuglinge und Kleinkinder, wenn sie ihre Kern-Geschlechtsidentität und ihre Geschlechtsrollenidentität aufbauen, orientieren und identifizieren sich unbewusst nicht nur mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil, sondern auch mit dem sexuellen Interesse dieses Elternteils am Partner.
Klinische Eindrücke belegen oft eindrucksvoll das wechselseitig verführerische Verhalten von Kind und Eltern.

Erinnerungsspuren, die sich unter besonderen Affektbedingungen bilden (wenn etwas emotional sehr berührt, intensiv erlebt wird), erhalten Kern-Schemata (Grundmuster) einer Interaktion (Welschelwirkung, Miteinander, Kooperation) zwischen der Selbstrepräsentanz (dem Selbstbild) des Kindes und der Objektrepräsentanz der Mutter (dem inneren Bild von der Mutter) unter dem Vorzeichen eines entweder lustvollen oder unangenehmen Affekts. Infolgedessen bauen sich zwei parallele, anfangs voneinander getrennte Stränge von Selbst- und Objektrepäsentanz auf,
Diese anfänglichen Vorstellungen von der guten bzw. der bösen Mutter (die zunächst wie zwei verschiedene Personen aufgespalten erlebt und noch nicht integriert sind) sind ebenso wie die Wahrnehmung eines lustvoll, guten oder schmerzhaft, böse Selbsterlebens, mit positiven und negativen Affektdispositionen (Veranlagung mit einem bestimmten Gefühl zu reagieren) gekoppelt.
Dies anfangs “nur-guten” oder “nur-bösen” Repräsentanzen (verinnerlichte Vorstellungen) vom Selbst und vom Anderen (Objekt) wird schließlich im Verlauf der Entwicklung zu einem Ganzen integrieret, so dass die bedeutenden Bezugspersonen und dann auch andere, wie ebenso man selbst, als sowohl-als-auch gut und böse erkannt und ausgehalten werden können. Die eigene Identität entwickelt sich also nicht nur aus der Identifikation mit einem bedeutsamen Objekt selbst, sondern wird vor allem aus der Identifizierung mit einer Beziehung zu dem Objekt aufgebaut. So identifizieren wir uns sowohl mit unserem Selbst wie auch mit dem Objekt unseres Begehrens.

Da sich z.B. der Junge als ein von seiner Mutter geliebter Junge erfährt, identifiziert er sich mit der Rolle des männlichen Jungen wie mit der Rolle der weiblichen Mutter. So erwirbt er die Fähigkeit, die Position seiner Selbstrepräsentanz (seiner Vorstellung von sich selbst) einzunehmen und zugleich die Repräsentanz der Mutter (das Bild der Mutter und ihrer Reaktion auf ihren Jungen) auf eine andere Frau zu projizieren (eigene Gefühle oder Vorstellungen anderen Personen zuschreiben); oder er lernt – unter bestimmten Bedingungen – in die Rolle der Mutter zu schlüpfen, während er seine Selbstreprästentanz auf einen anderen Mann projiziert (ähnlich, wie ein Bild mit einem Projektor auf einer hellen Wand abgebildet werden kann). Liegt das Schwergewicht der Ich-Identität auf der Selbstrepräsentanz als Junge, so ist sichergestellt, dass bei ihm die heterosexuelle Orientierung vorherrscht (und dass er in allen Frauen unbewusst nach der Mutter suchen wird). Überwiegt dagegen die Identifizierung mit der Mutterrepräsentanz, kann die Folge ein bestimmter Typus von Homosexualität beim Mann sein.

Beim Mädchen wird die Kern-Geschlechtsidentität durch die allererste Beziehung gefestigt, da sie sich in der Interaktion sowohl mit der eigenen wie auch mit der Rolle der Mutter identifizieren. Andererseits wird auch die unbewusste Identifizierung mit dem Vater durch den späteren Wunsch, den Vater als Liebesobjekt der Mutter zu ersetzen (dies in aller kindlichen Unschuld und Unwissenheit – aber in der Vorstellung, den Vater später zu heiraten und besser, allumfassender zu versorgen, als dies die Mutter tut). Diese innere Vorstellungsfigur wird durch das positive Wählen des Vaters (etwa im 4 – 5. Lebensjahr) in der ödipalen Beziehung stabilisiert.
Auch das Mädchen geht also eine unbewusste bisexuelle Identifizierung (Gleichsetzung) ein.
Da die Identifizierung sich nicht so sehr auf einen Menschen als vielmehr auf eine Beziehung richtet und im Unbewussten somit wechselseitig aufeinander bezogene Rollendispositionen aufgebaut werden, kann an davon ausgehen, dass die Bisexualität psychisch begründet ist.
Sie tritt in der Fähigkeit zutage, die Kern-Geschlechtsidentität zu erwerben und gleichzeitig sexuelles Interesse an einem anderen Menschen des anderen oder des eigenen Geschlechts zu entwickeln.

Intensität des sexuellen Verlangens

Bei diesem Thema sind die wissenschaftlichen Ergebnisse zu den biologischen Mechanismen relativ klar, von der sexuellen Appetenz (Verlangen nach sexueller Aktivität, sexuellen Phantasien, Tagträumen; Gefühl, sexuell zu jemandem anderen hingezogen zu sein) über das sexuelle Arousal (Erregung) bis zu Geschlechtsverkehr und Orgasmus; Orgasmus, der kann, aber nicht muss.
Ungewissheit herrscht dagegen nach wie vor über die Reize, die eine sexuelle Reaktion auslösen, und über die subjektive Qualität des Erregungserlebens. Bei Männern und Frauen sind zwar die physiologischen (körperlichen) Begleiterscheinungen bekannt, während über die psychologischen (seelischen) Ähnlichkeiten und Unterschiede weiterhin Uneinigkeit bei den WissenschaftlerInen besteht.
Dennoch kann man zusammenfassend feststellen, dass bei Menschen ein ausreichender Hormonspiegel zirkulierender männlicher Hormone eine Voraussetzung für die Fähigkeit zur sexuellen Reaktion zu sein scheint und somit das sexuelle Verlangen bei Männern wie bei Frauen beeinflusst. Bei normalen und erhöhten Hormonspiegeln aber sind sexuelles Verlangen und Verhalten erstaunlich unabhängig von hormonellen Schwankungen.
Beim Menschen ist der Faktor, von dem die Intensität des sexuellen Verlangens in erster Linie abhängt, kognitiver (verstandesmäßiger) Natur, und besteht im bewussten Wahrnehmen des sexuellen Interesses, das sich in sexuellen Phantasien, Erinnerungen, in einer erhöhten Aufmerksamkeit für sexuelle Reize niederschlägt und eine gesteigerte Aufmerksamkeit für verstärkende Reize umfasst, die für die eigene sexuelle Orientierung und das passende Sexualobjekt relativ spezifisch (passgenau) sind.
Das Erleben selbst ist nicht rein “kognitiv“, sondern enthält ein starkes affektives Element, so dass es in erster Linien ein gefühlsmäßig-bewusstes Erleben ist.

Physiologisch gesehen ist das affektive Gedächtnis an das limbische System gebunden, das das neuronale (nervliche) Substrat (Fundament) der Sexualität wie auch anderer Appetenzfunktionen (Lust haben auf) ist.
Untersuchungen an Tieren haben gezeigt, dass bestimmte limbische Regionen Erektion und Ejakulation steuern, dass es da sowohl anregende als auch hemmende Mechanismen gibt, die auf die sichtbare Erektionsreaktion einwirken.
Unter dem Einfluss eines emotionalen, sich bewusst sich sexuelles ausrichtenden Zustandes, mobilisiert das limbische System Kontrollzentren, die ein Anschwellen, Feuchtwerden und eine lokal erhöhte Empfindlichkeit der Geschlechts-organe bewirken – deren Gewahrwerden wiederum wird als verstärkendes Feedback (Signal) an das Gehirn geschickt. Es entsteht ein sich selbst verstärkender positiver Engelskreislauf; deren negative Variante Teufelskreislauf genannt wird. Aber all das sind beim Menschen lediglich “Bausteine” des Sexualtriebes, der Libido als ein übergreifendes Motivationssystem. Damit stellt es den Grundaffekt des komplexeren physiologischen Phänomens: des erotischen Begehrens, die in einer emotionalen Beziehung an ein spezifisches Objekt (einen besonderen Menschen, manchmal jedoch auch an besondere Dinge) gebunden ist.

Foto: Lindemann; u.a.
Quelle: Otto F. Kernberg, Liebesbeziehungen – Normalität und Pathologie, Klett-Cotta, 2014 – Übersetzung Christoph Trunk

Otto F. Kernberg ist Direktor des Personality Disorder Institute am New York-Presbyterian Hospital, Westchester Division und Professor für Psychiatrie am Weill Cornell Medical College, New York. Er war lange Präsident der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPA) und gilt als einer der bedeutendsten psychoanalytischen Forscher und Theoretiker.


Schafe streicheln als Gutes für die Seele

oder: …streichelt auch unsere Seele?

Mal ein Schaf streicheln

Auch das kann gut für unsere Seele sein. Ich möchte sogar behaupten, dass diese Berührung positive Gefühle und Gedanken beflügelt.

In Frankenbach zwischen Sportplatz und Busparkplatz standen diese kuscheligen Tiere auf einer Wiese. Als wir davor parkten um unseren wunderschönen Rundweg am Dünsbergsgrund zu wandern, sahen einige Schafe auf und ein Schaf kam sogar so nah, dass ich es streicheln konnte. Was für ein schönes Gefühl den Kopf dieses Tieres zu berühren und zu erleben, dass auch das Schaf das Streicheln zu genießen schien. Diese weiche Wolle zu fühlen und dieses tierische Vertrauen zu erfahren, erfüllte mich mit Freude. Ich erwartete nur noch, dass das Schaf schnurren würde wie eine Katze. Ob Schafe wie Katzen Namen haben? Fragte ich mich.

Mein Kuschel-Schaf taufte ich Bella, die Schöne mit ihren sanften Augen der weichen Schnauze und der dicken Wolle. Auch wenn es kälter werden würde, Bella würde nicht frieren und die Wiese sah noch so schön grün aus, Bella und ihre Artgenossinnen und Artgenossen würden nicht hungern.

Sie strahlten Ruhe und Zufriedenheit aus.

Für mich war Bella eine gute Gelegenheit, um meine Achtsamkeit und Aufmerksamkeit zu fördern. Dieser Moment des bewussten Empfindens, sich auf etwas einzulassen, das im Alltagsleben sonst untergeht, wird in der Achtsamkeitsforschung als Balsam für die Seele bezeichnet.

Wir hätten auch einfach unsere Wanderung mit der lapidaren Wahrnehmung beginnen können: Aha, da sind ein paar Schafe auf der Wiese, die man nicht weiter beachten muss. Dann wären mir dieses positive Erlebnis und dieses positive Gefühl entgangen. Aber wir Menschen brauchen positive Gefühle und Erlebnisse und sollten uns bewusst machen, dass es manchmal ganz einfach ist, sich diese angenehmen Emotionen zu beschaffen.

Auch das Bäume-Umarmen, das belächelt wird, gehört dazu. Wie fühlt sich die Rinde an? Und wenn ich mein Ohr an den Baum drücke, was höre ich dann? Und welche Gefühle und Ideen verbinde ich mit einem Baum, der sonst einfach nur so dagestanden hätte.

Und noch etwas: Schafe sind keine dummen Tiere. Sie können sich sogar Namen merken, habe ich im Internet gelesen. Dass sie auch sehr pfiffig sein können, weiß ich nachdem ich mit meinen Enkelsöhnen mit großem Vergnügen die Filme von Shaun das Schaf gesehen habe. Für verregnete Wochenend-Herbstnachmittage ist Shaun auch für Erwachsene etwas zum Aufheitern.

Quellen:
Fotos: Uschi Hohenbild
, Christoph Haus

Wechselwirkungen zwischen körperlichen und psychischen Erkrankungen

Bei körperlichen Erkrankungen können Patienten psychische Komorbiditäten (Miterkrankung) entwickeln, und umgekehrt. Das ist durch verschiedenen Studien mittlerweile sehr gut belegt.
Bei chronischen somatischen Erkrankungen liegt die Wahrscheinlichkeit binnen eines Jahres auch psychische Symptome zu entwickeln bei 9 %.
Sehr häufig ( 31-45 %) von psychischen Komplikationen (insbesondere depressiven Reaktionen) betroffen sind Patienten mit einer koronaren Herzerkrankung, wobei 15-20 % die Kriterien einer Depression erfüllen.
Gleichzeitig beeinflusst die Depression das Risiko nach einem Herzinfarkt zu versterben.
Depressive Begleitsymptome finden sich auch in 16 % der Fälle bei chronischen Darmerkrankungen,
in ca. 12 % bei Tumorerkrankungen, 13 % bei Atemwegserkrankungen, 10 % bei rheumatologischen Erkrankungen. Eine weitere Gruppe, die sehr häufig unter psychischen Symptomen leidet, sind Patienten mit Erkrankungen der endokrinen Drüsen; z.B. bei Morbus Cushing in 50-80 %. Die hormonelle Dysregulation führt dabei zu Symptomen wie Schlaf- und Gedächtnisstörungen, Ängsten, Depression, Wesensveränderung oder auch zu psychotischen Symptomen.

Die Lebensqualität kann bei derartigen Erkrankungen, auch bei angemessener Behandlung, noch über längere Zeit beeinträchtigt sein, insbesondere wenn hormonelle Faktoren einer Rolle spielen.
Umgekehrt konnte gezeigt werden dass Patienten mit einer Depression ein um das Risiko einer körperlichen Einschränkung 1,8-fach erhöht ist, das Risiko für soziale Einschränkungen gar um das 2,3-Fache.
Psychische Symptome schränken nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen und deren Familien ein, sondern können auch für Probleme bei der Krankheitsverarbeitung und -akzeptanz sorgen. In der Folge hängen damit dann wieder Komplikationen bei den körperlichen Krankheitsverläufen zusammen.
z.B. beeinflussen sich Diabetes mellitus Typ 2 und Depression in beide Richtungen: häufig übergewichtige zuckerkranke Erwachsene dieses Typs haben ein doppelt so hohes Risiko, an einer Depression zu erkranken, während das Risiko, dass depressive Patienten an einen relativen Insulinmangel zu leiden beginnen, um 37 % erhöht ist. Zudem ist hier die Einstellung der Blutzuckerwerte oft erschwert, da diese doppelerkrankten Patienten oft unter Schlafstörungen leiden, oft schlechte Essgewohnheiten pflegen und sich zu wenig bewegen und sich dennoch zu erschöpft fühlen, um ihre Therapie einzuhalten.

All das hängt mit einer engen biologischen Verzahnung von Körper und Psyche zusammen, wobei z.B. entzündliche Prozesse im Körper eine Immunantwort im Gehirn erzeugen. Das führt einerseits zu unspezifischen psychischen Symptomen wie kognitiven Problemen, Fatigue und Stimmungsschwankungen. Allgemein spielt Stress dabei eine große Rolle, weil er nicht nur über das Hormonsystem, sondern auch über die Stimulation von Entzündungs-mediatoren (Botenstoffen) und über das Mikrobiom des Darmes das Wachstum bestimmter Keime fördert, was wiederum zur vermehrten Bildung von Neurotransmittern beiträgt, die die Stimmung beeinflussen.

Quelle: MMW Fortschr. Med. 2020; 162 (17): PD Dr. med. Heike Künzel, München, Zusammenhänge zwischen Depression und internistischen Erkrankungen, S. 44-47


Johanniskraut und Johannistag 24. Juni

Tüpfel-Johanniskraut (Hypericum perforatum, Hypericaceae) in Königsberg

Der Johannistag stand früher für den längsten Tag des Jahres. Die Menschen hatten die Namen der Heiligen im Kopf, aber noch keinen Kalender. Jedenfalls werden die Tage wieder kürzer, das heißt, die Spargelsaison endet, und auch Rhabarber sollte nicht mehr geerntet werden. Beide müssen nun Reserven fürs nächste Jahr bilden. Andererseits treiben kahl gefressene Bäume neu aus, das ist der Johannistrieb. Eine Heilpflanze, die um diese Zeit mit der Blüte beginnt, ist das Johanniskraut (Heilpflanze 2019). Es heißt auch Hartheu und ist in Biebertal sehr verbreitet. Das Kraut aus Blättern und Blüten gibt einen guten Tee gegen depressive Stimmungen. Der Wirkstoff Hyperforin ist auch in Antidepressiva enthalten. Die Wirkung merkt man 2-3 Wochen ab Beginn der Teekur. Aber Vorsicht! Die bekannteste Nebenwirkung ist eine zunehmende Lichtempfindlichkeit vor allem bei sehr hellhäutigen Menschen. Auch die Wirkung der Antibabybille kann herabgesetzt werden. Bevor Sie an die Ernte gehen, halten Sie die Pflanze gegen das Licht. Nur wenn Punkte auf Blüten und Blättern zu sehen sind (Tüpfel), haben sie die richtige Art. Alternativ: Zwischen zwei Fingern zerquetschte Blütenblätter sollten rötlichen Saft absondern.
Ein sehr gutes Pflege- und Heilöl, das bei Brandwunden 1. Grades, bei Schürfwunden und kleinen Rissen hilft sowie allgemein gereizte Haut beruhigt, .kann man mit wenigen Mitteln herstellen:

  1. Blüten und wenige Blätter vom Stängel streifen
  2. Ein Schraubglas locker mit dem Kraut befüllen
  3. Mit Olivenöl aufgießen, so dass die gesamten Pflanzenteile mit Öl bedeckt sind
  4. An einem warmen und wenn möglich sonnigen Ort sechs Wochen ziehen lassen und ab und zu schütteln
  5. Das mittlerweile rot verfärbte Öl abseihen und eher dunkel bei Zimmertemperatur lagern.

Übrigens haben wir momentan in Biebertal noch sechzehneinhalb Stunden Tageslicht, nämlich vom 16. – 18. Juni 16,32 Stunden, vom 19. – 22. Juni 16,33 Stunden und vom 23. – 25. Juni wieder 16,32 Stunden. In München sind es nur 16,04, aber in Flensburg 17,16 Stunden.

Quellen: https://www.die-rathausapotheke.de/leben/johanniskraut/
https://sonnenaufgang-sonnenuntergang.de/?location=35444%20,%20Biebertal
Foto: Eveline Renell

Wir sind immer zwei Seiten einer Geschichte

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Der Kuss von Gustav Klimt (1907–1908)

Ob als Paar daheim, ob mit den KollegInnen im Büro, in der Politik, im Streit, selbst bei Mobbing oder Hassbotschaft, wie auch im liebevollem Miteinander: „Wir sind immer zwei Seiten einer Geschichte“
Denn ohne ein Gegenüber, sei es Person oder Thema, gibt es keinen Bezugspunkt, der von uns selbst mit Sinn aufgeladen und gedeutet wird.
Immer liegt es also an uns selbst, ob wir das Trennende oder das Gemeinsame / Ergänzende in Bezug auf den oder das andere in unseren Vordergrund unserer Aufmerksamkeit nehmen und für bedeutsam / wichtig / wesentlich erklären.
(Unter anderen Umständen fiele diese Ansicht möglicherweise auch ganz anderes aus.)

Nie ist unser Eindruck objektiv. Oder andersherum ausgedrückt: immer ist unser Eindruck subjektiv.
Niemand kann je wissen, was außerhalb seiner selbst ist.
Alles was wir über die Welt wissen, ist, was und wie unsere Sinnesorgane sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen – und das nur im Rahmen ihrer Bauart und in dem eingeschränkten Spektrum, in dem sie Unterschiede messen. Das „wie es außerhalb von uns selbst“ aussieht, darauf haben sich Menschen im Laufe der Zeit geeinigt. Für den Alltagsgebrauch reicht es ja auch, wenn man sich damit hinreichend verständigen kann. … Bis wir uns einer Wahrnehmung bewusst werden, kommen zu unseren Eindrücken dann noch (aufgrund unserer aktuellen Bedürfnislage und unserer früheren Erfahrungen) die Interpretation in unserem Gehirn dazu. Interessant dabei ist, dass die meisten Zellen im Gehirn vor allem untereinander kommunizieren und nur wenige je echten Kontakt mit der Außenwelt haben.

Wir können anderen lediglich von unserem Empfinden, von unserem aktuellen Fokus der Aufmerksamkeit, von den dazugehörigen Erfahrungen in der Vergangenheit und von unseren Zukunftserwartungen und Wünschen, von unseren Vorstellungen und unserem Weltbild erzählen … am besten ich „Ich-Form“.
Das zeigt, dass ich mir darüber bewusst bin, was ich sage.
Was „man“ will und tut oder wer und wie „du“ bist, kann ich nicht wissen!
Falls Ich darüber eine Aussage treffen möchte (also dem anderen eine Selbstoffenbarung darüber geben will, wie es in mir aussieht), dann bitte bei den zuschreibenden „Du-Sätzen“ nicht den ersten Teil des Satzes: „Ich finde, Du bist …“ weglassen.

Aus diesen Überlegungen geht auch hervor, dass es unmöglich ist, jemand anderen glücklich oder unglücklich zu machen. Über die eigene Erleben, Denken, Gefühl, Handeln und Befinden entscheidet letztlich jeder selbst – auch wenn manche Einladungen (sehr) starke Aufforderungen sind, etwas in einer bestimmten Weise anzunehmen und mit zu erleben.
Wir können also zwingend erscheinende Einladungen aussenden; doch ob diese Angebote angenommen werden, liegt bei zwei Leuten eben nur bei „geteilt durch 2“ bei 50 % in der Hand des Einladenden.
Denn jeder Mensch ist ein autonomes (selbstbestimmtes) Wesen – auch Kinder! … Partner, Untergebene.

Daher bestimmt jeder – ob bewusst oder ohne Wissen – selbst, was und wie oder ob überhaupt sie/er etwas in den „Scheinwerfer“ der Aufmerksamkeit nimmt und für wie tragbar er /sie das Risiko einschätzt, auf ein Kommunikationsangebot einzugehen.
Es bestimmt auch immer der Empfänger den Inhalt einer Botschaft. Denn man kann nur wahrnehmen, was man zumindest schon ein bisschen kennt. Anderes kann man nicht einmal sehen, hören usw. – Typisches Beispiel: Sie suchen Spinat in grüner Verpackung im Eisschrank, das dort jedoch in einer weißen Verpackung liegt … und finden … nichts, obschon das Gesuchte da ist; nur dass es nicht ihren Erwartungen und Suchkriterien entspricht: darum (er)kennen Sie es nicht.
Daran ist also nicht der/das andere „Schuld“, sondern die eigene Einstellung und Erwartungshaltung.
Dies zu erkennen und sich darüber bewusst zu bleiben, könnte viel Unglück in der Welt verhindern helfen. Es könnte immer wieder Wege der Verständigung eröffnen, wo sonst archaische Gefühle von Angst vor XY oder die Wut über XY und die vermeintlich böse Welt die inner Führung übernehmen würden.

Bildquelle:
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:The_Kiss_-Gustav_Klimt-_Google_Cultural_Institute.jpg

Gründliches Händewaschen: Lächerlich oder revolutionär?

Bild zu Plakatserie "Wo waren deine Hände heute?"
Foto Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

Im google-doodle vom 20. März wird der Arzt Ignaz Semmelweis gewürdigt. Er war ein Chirurg und Geburtshelfer in Wien um 1850. Ihm war aufgefallen, dass bei den Wöchnerinnen*1) der öffentlichen Krankenhäuser die Fallzahlen von Kindbettfieber in den Abteilungen, in denen Ärzte arbeiteten, um ein Vielfaches höher lagen als in den Abteilungen, wo Hebammenschülerinnen arbeiteten. *2)
Auf Grund genauer Beobachtung, einem Zufall und der Schlussfolgerung, dass es daran lag, dass Ärzte auch Leichen sezierten und oft mit ungewaschenen Händen zur Gebärenden gingen, veränderte er sein Verhalten und seine Anweisungen. Nicht nur mussten sich die ihm unterstellten Ärzte jedesmal nachdem sie eine Leiche seziert hatten, gründlich die Hände waschen. Nein, sie mussten sie auch mit Chlor desinfizieren. Dafür wurde er von seinen Kollegen gründlich ausgelacht, angefeindet und ihm bei seiner Karriere Steine in den Weg gelegt.

Erst einige Jahre später, nachdem in der von ihm geleiteten Abteilung die Sterbefälle drastisch zurück gingen, setzte sich die Tugend des Händewaschens in Ärztekreisen durch. Sie fand bald Eingang in die Kindererziehung mit der regelmäßigen Frage vor dem Essen: “Hast du dir auch die Hände gewaschen?”

In Zeiten mit erhöhtem Infektionsrisiko wie jetzt bei der Pandemie durch das Covit 19 Virus ist gründliches Händewaschen das A&O.
Normalerweise lernt man in der Hygiene, dass es immer v o r der Desinfektion steht.
Nicht zu vergessen: Auch im privaten Haushalt sollte man die Händehandtücher – und die Waschlappen aus der Küche – täglich in die Wäsche geben.


*1) So nannte man früher die Mütter direkt nach der Entbindung, weil sie eine Woche lang im “Wochenbett” bleiben mussten
*2) Sterberate damals 5 – 15%, zum Teil bis 30 Prozent;
Säuglingssterblichkeit heute in Deutschland 3,3 Promille

Quelle: wikipedia

Begriffs-entwirrungen

Schlange Kaa mit ihrem verwirrungstiftenden Blick; aus dem Film “Dschungelbuch”.
Bild: Anne Möller

Oft, so erlebe ich das in meiner Praxis, wissen die Menschen überhaupt nicht, was sie mit Begriffen wie Psychotherapie, Physiotherapie, Psychiater, Psychologe, Facharzt für Psychosomatische Medizin, Psychotherapeut HPG usw. anfangen sollen.
Daher mache ich mich hier mal an die Entwirrung und Aufklärung der Begriffe und ihre Ausbildungs-hintergründe.

Psychische Krankheiten sind etwas Alltägliches und Normales, genau wie körperliche Erkrankungen. Sie betreffen immer den ganzen Körper und sein Umfeld. Sie können jeden treffen, ob jung oder alt, männlich, weiblich wie divers, hier geboren oder zugezogen, ob familiär vorbelastet oder nicht.
Oft sind Symptome wichtige Warnsignale des Körpers, die Schlimmeres verhindern helfen können. Schmerzen z.B. machen auf eine Schädigung irgendwo im Körper aufmerksam, die man beachten sollte.
Zum Teil sind Symptome die Folgen von Konflikten, Traumatisierungen oder andere Verarbeitungsstörungen; seien es akute oder chronische Belastungen z.B. in Familie oder Beruf, Ängste, Depressionen, süchtige Abhängigkeiten, Folgeerkrankungen von schrecklichen Erlebnissen oder was auch immer.
Scheuen Sie sich nicht Ihre dahingehenden Wahrnehmungen frühzeitig mit ihrem Arzt, ihrer Ärztin oder gar einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten anzusprechen!

Manche Menschen scheuen ein erstes Gespräch, weil sie grundsätzlich nicht gerne über Gefühle sprechen, schon gar nicht mit einem Fremden. Andere können sich nicht vorstellen, was in einer Psychotherapie passiert und ob Reden „etwas bringen“ kann. Wieder andere hätten gerne einfach Tabletten, die eine schnelle Reparatur bewirken sollten.
Unter >Wissen< finden sich unter dem Titel “Auch unser Gehirn ist ein Organ / Teil unseres Körpers” noch mehr verständliche sowie wissenschaftlich überprüfte Informationen der Bundes-psychotherapeutenkammer, auf die Sie sich verlassen können.

Psychotherapie, Physiotherapie, Psychiater, Psychologe, Facharzt für Psychosomatische Medizin, Psychotherapeut HPG usw.; das “Wer, was, wie” in der Psychotherapie. … Was bedeuten diese Begriffe?

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Starten wir mit Physiotherapie / Physiotherpeut-in

Das Wort stammt aus dem altgriechischen und setzt sich aus physis Natur, Körper + therapeia Dienen, Pflege, Heilung, Wiederherstellung von Funktionen zusammen.
Früher nannte man das Krankengymnastik, aber auch MassageReha-Sport und spezielle Trainingsformen oder die äußerliche Anwendung von Heilmitteln zählen hierher.
Dabei geht es vor allem darum, die Bewegungs- und Funktionsfähigkeit des menschlichen Körpers wieder herzustellen, zu verbessern oder zu erhalten.
Hierbei geht es also vor allem um den Körper.
In der Medizin wird der Begriff Soma für den Körper des Menschen benutzt.

Als Begriff für den alten Begriff Seele  wir für die geistigen Funktionen heute der Begriff Psyche benutzt.

Psychotherapie,

der Begriff ist ebenfalls aus dem Altgriechischen abgeleitet, von psyche „Seele“ + therapeia „Behandlung“,
Psychotherapie bezeichnet allgemein die „gezielte professionelle Behandlung psychischer Störungen oder psychisch bedingter körperlicher Störungen mit psychologischen Mitteln. Die dabei angewandten Verfahren, Methoden und Konzepte sind historisch durch verschiedene Psychotherapieschulen geprägt.
Für die Zulassung als Psychotherapeut gibt es verschiedene Voraussetzungen:

12 Semester Medizinstudium, incl. 3 Staatsexamen.
Mit gültiger Approbation weitere 5-6 Jahre Facharztausbildung als Assistenzarzt
+ berufsbegleitende psychotherapeutische Weiterbildung, neuerliche Prüfung

12 Semester zum Diplom in Psychologie oder
8 Semester zum Bachelor of Science (BSc) im Fach Psychologie
+ aufbauend einen Master (MSc) in Psychologie oder klinischer Psychologie und Psychotherapie
+ 3- und 5-jährige staatlich anerkannte Ausbildung in Psychologischer Psychotherapie oder in  Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie mit Prüfung

Ausbildung nicht geregelt,
lediglich amtsärztliche Prüfung nach dem Heilpraktikergesetz „HeilprG“,
wobei grundsätzlich gewusst werden muss, was ein Heilpraktiker nicht behandeln darf, wann zum Arzt geschickt werden muss.
Das beinhaltet natürlich auch fachliches Wissen, allerdings qualitativ ungewiss.

Wichtig zu merken: Körper und Psyche sind nichts getrenntes; nur in der Welt der Worte gibt es diese Unterscheidung.


Spezielle Facharzttitel sind:

Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie,
Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie,
Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie,
Fachärzte für Psychiatrie = Psychiater, während
Fachärzte für Nervenheilkunde oder Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie auch Nervenärzte genannt werden


Psychologenberufe
in der Therapie:

Erwachsenen-
psychotherapeut
oder
Kinder- und Jugendlichen-Therapeut


Berufsbezeichnung
“Heilpraktiker für Psychotherapie”
bzw. “Praxis für Psychotherapie – nach dem Heilpraktikergesetz” oder “Praxis für Psychotherapie”

Auch unser Gehirn ist ein Organ / Teil unseres Körpers

Liebe Leserinnen und Leser,

psychische Krankheiten sind etwas Alltägliches und Normales. Sie können jeden treffen, ob jung oder alt, männlich oder weiblich, hier geboren oder zugezogen, ob familiär vorbelastet oder nicht.

Manche Menschen scheuen ein erstes Gespräch mit ihrem Arzt, ihrer Ärztin oder gar einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten, weil sie grundsätzlich nicht gerne über Gefühle sprechen, schon gar nicht mit einem Fremden.
Andere können sich nicht vorstellen, was in einer Psychotherapie passiert.
Und einige fragen sich, ob Psychotherapie überhaupt wirkt und ob nicht Tabletten eine schnelle Reparatur bewirken könnten.

Die obige Broschüre „Wege zur Psychotherapie“ wendet sich deshalb in erster Linie an Menschen, die noch nicht mit eine psychotherapeutischen Situation zu tun hatten und sich erst einmal darüber informieren möchten, welche Hilfen es bei psychischen Erkrankungen gibt. Auch Lebenspartner, Familie, Freunde und Kollegen können sich auf diese Weise erst einmal lesend und in der Distanz informieren. Die Broschüre richtet sich an Erwachsene und bietet verständliche und wissenschaftlich überprüfte Informationen, auf die Sie sich verlassen können.

Es geht darum, dem Leser Mut zu machen, sich bei seelischen Krisen mit vertrauten Menschen auszutauschen, sich an eine Hausärztin beziehungsweise einen Hausarzt oder eine Psychotherapeutin beziehungsweise einen Psychotherapeuten zu wenden. Zögern Sie nicht, über seelische Nöte zu sprechen oder sich professionelle Hilfe zu suchen. Psychische Krankheiten sind genauso gut zu behandeln wie körperliche Krankheiten.

Inhalt der Broschüre
1. Was ist Psychotherapie?
2. Wann bin ich psychisch krank? – Erste Fragen an sich selbst
3. Wer behandelt psychische Krankheiten? – Wie finde ich einen Psychotherapeuten?
4. Wie werden psychische Krankheiten behandelt?
5. Was passiert in einer Psychotherapie?
6. Wirkt Psychotherapie?
7. Wer übernimmt die Kosten?
8. Welche Rechte haben Sie als Patient?
9. Adressen